Ein Leben unter Toten
Geruch, den sie nicht einordnen konnte.
»Gefällt es Ihnen?« wurde sie gefragt.
»Ein wenig dunkel«, sagte Mrs. Goldwyn.
Blanche Everett lächelte. »Das haben große, alte Häuser nun mal so an sich.«
»Scheint mir auch so zu sein.«
»Ich lasse Sie jetzt allein«, sagte die Frau und wollte sich umdrehen, aber Lady Sarah hatte noch eine Frage.
»Ich hörte von einem Doc Rawson. Wann bekomme ich ihn denn zu Gesicht?«
»Das hat Zeit«, unterbrach Blanche Everett. »Bleiben Sie erst einmal hier und schnuppern Sie ein wenig. Wenn Sie sich entschieden haben, bei uns zu bleiben, wird der Doc Sie untersuchen. Es ist nur eine reine Formsache, wissen Sie. Und noch etwas. Sie sind natürlich herzlich eingeladen, an unserem Sommerfest teilzunehmen. Es wird immer sehr nett, das weiß ich aus den vergangenen Jahren.«
»Da bedanke ich mich.«
»Und bleiben Sie bitte auf dieser Etage, Mrs. Goldwyn Im oberen Stockwerk kann ich für Ihre Sicherheit leider nicht garantieren, da die Zimmer sehr baufällig sind.«
»Ich werde mich an Ihren Rat halten«, versprach die Horror-Oma und schaute Blanche Everett nach, die das Zimmer verließ. Als deren Schritte verklungen waren, nahm sie auf der Bettkante Platz und vergrub das Gesicht in beide Hände.
Jetzt erst weinte sie. Nicht ihr eigenes Schicksal war der Grund. Sarah Goldwyn beweinte eine Tote, und sie beweinte auch die Art, wie sie vergraben wurde. Es war ein regelrechtes Verscharren gewesen. Schrecklich.
Nach einigen Minuten hatte sich die Frau wieder gefangen, hob den Kopf und schaute auf die Tür. Vom Gang her vernahm sie Geräusche. Jetzt war sie heilfroh nicht allein in dieses Haus gekommen zu sein. Sie war beruhigt dabei, John Sinclair als Deckung in ihrem Rücken zu wissen. Leider wußte sie nicht, wo sich der Geisterjäger herumtrieb. Gesehen hatte sie ihn jedenfalls nicht. Hatte er sich unsichtbar gemacht?
***
Das hätte ich gern gekonnt, in diesem Fall war es nicht möglich. Ich mußte mich sehr hüten, denn ich wollte nicht auffallen. Man hätte mir unangenehme Fragen gestellt, und so etwas ist immer schlecht und behindert die Arbeit. Welch ein Haus!
Ich kannte Cornwall, auch die alten Häuser an den Steilküsten, aber noch nie hatte ich einen Bau gesehen, der so breit und wuchtig wirkte wie dieser hier.
Geheimnisvoll, unheimlich, klotzig stand er da hoch über dem Wasser, hob sich vom Rand der Klippen her scharf ab, wobei hoch am Himmel gewaltige Wolkentürme ihre Bahn zogen und selbst das Sonnenlicht von diesem Haus aufgefangen wurde, so daß die Mauern ungemein düster wirkten, trotz des Sommerlichts.
Im Schatten zweier krumm gewachsener Bäume hielt ich mich auf, hockte auf dem Boden und rauchte eine Zigarette. Mein Bentley stand in der Nähe. Ich hatte ihn dicht an einen Hang herangefahren, so daß er ebenfalls vom Haus her nicht gesehen werden konnte. Lady Sarah mußte den Bau inzwischen längst erreicht haben. Um sie machte ich mir auch Sorgen. Wir hatten in diesem Gasthaus einiges zu hören bekommen.
Sage, Legende, Wahrheit?
Ich wollte die Mehrzahl dieser Begriffe nicht akzeptieren, denn ich hatte das Gefühl, der Wahrheit doch ziemlich nahe gekommen zu sein. Ja, es mußte die Wahrheit sein, wenn auch ein wenig verfälscht. Um die genauen Tatsachen herauszufinden, war ich schließlich hier. Das schöne Wetter hatte uns verlassen. Zwar regnete es nicht, doch die Wolkenberge hatten sich verdichtet und bildeten am Himmel graue, manchmal unheimlich wirkende Figuren.
Es war abgesprochen, daß ich zunächst einmal die nähere Umgebung des Hauses absuchte. Für das Innere war Lady Sarah zuständig und es würde ihr sicherlich gelingen, auf die eine oder andere Weise mit mir in Kontakt zu treten.
Ich hatte mir auch schon einen Plan zurechtgelegt, wie ich vorgehen wollte. Dabei kam mir das Gelände entgegen. Wenn ich es geschickt anstellte, mußte es mir gelingen, mich ziemlich ungesehen dem Haus zu nähern, denn Bodenfalten, kleine Senken und Erhebungen gaben mir die nötige Deckung. Und einen Ausguck, der nur darauf aus war, die Umgebung im Auge zu behalten, entdeckte ich nicht. Mit dem Absatz trat ich die Zigarettenglut aus und machte mich auf den Weg.
Es wäre ein Fehler gewesen, sich dem Haus auf direktem Wege zu nähern, deshalb schlug ich einen Bogen und benutzte die Form des Geländes als natürliche Deckung.
Der Boden hier war mit kargem Gras bewachsen, das auch dem ewigen Wind standhalten konnte. An einigen Stellen sah ich den nackten
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