Ein Leben unter Toten
Fels durchschimmern, wobei ich mir die Frage stellte, wie es möglich war, in diesem Boden Gräber auszuheben. Wahrscheinlich gab es am Friedhof einen anderen Untergrund, sonst hätten die Gräber in den Felsen hineingesprengt werden müssen. Das Haus lag immer vor meinen Augen. Zwar nie in seiner Gesamtheit, aber Teile oder Trakte davon behielt ich stets im Blick Und auch einen Teil der Fenster. Manchmal blitzten die Scheiben hell auf, wenn sie von einem durch die Wolken lugenden verirrten Sonnenstrahl getroffen wurden.
Am Himmel kreisten Vögel. Es waren Seeschwalben, Raben und Elstern. Die Schreie der Tiere wirkten auf mich manchmal wie ein schmerzgepeinigtes Kreischen, das mir in den Ohren gellte. Ich kam gut voran, pausierte einmal, weil ich schauen mußte, auf welch einem Weg ich das Haus am besten umrundete. Menschen hatte ich bisher nicht gesehen. Auch hinter den Scheiben hatte sich kein Gesicht gezeigt.
Eine freie Fläche überquerte ich geduckt und fast auf allen vieren kriechend, fand eine guten Platz und konnte von dieser kleinen Mulde aus über knorriges Gestrüpp hinweg bis zum Friedhof schauen. Er war leer.
Wenn ich nach rechts blickte, sah ich die letzten Frauen durch den breiten Hintereingang im Haus verschwinden. Für mich ein Beweis, daß die Beerdigung vorbei war.
Ich ließ einige Minuten verstreichen, riskierte anschließend einen genaueren Blick und erkannte auf dem Friedhof auch das frische Grab. Für mich war die Luft rein. Kein Mensch befand sich mehr auf diesem kleinen Totenacker. Zudem gab es genügend Bäume, hinter deren Stämmen ich die entsprechende Deckung fand.
So etwas wie Jagdfieber hielt mich umfangen. Ich hielt zwar keinen Beweis in den Händen, mir war allerdings jetzt schon klar, daß mit diesem Haus etwas nicht stimmte.
Das fühlte ich, das konnte ich merken. Es lag auf meiner Haut wie ein Kribbeln, und vielleicht war es die Erfahrung die mich so reagieren ließ. Rasch hatte ich die Bäume erreicht. Während ich lief, spürte ich, daß dieser Boden hier tatsächlich eine andere Form aufwies. Er war weicher, meine Schritte federten, so war es klar, daß sich hier auch relativ leicht ein Grab ausheben ließ.
Obwohl das Licht des Tages über dem Land lag strahlte dieser alte Friedhof eindrucksvoll. Vielleicht waren es die hohen Bäume und deren dichtes Blattwerk die diesen Eindruck ausmachten, aber das allein konnte es nicht sein. Der Friedhof selbst besaß ein gefährliches Flair, und er wirkte mit seinen oft schief und kantig aus der Erde ragenden Grabsteinen wie ein Relikt oder eine Kulisse, die in einen Horrorfilm paßte.
Zoll für Zoll tastete ich den Friedhof mit meinen Blicken ab. Ich suchte nach irgendwelchen verdächtigen Personen, nach Dingen, die mir bitter aufstießen, aber ich sah nichts.
Nur das Gefühl blieb.
Manchmal sah ich, wenn ich zur Rückseite des Hauses schaute, hinter den Fenstern Bewegungen. Dort mußten die Räume der Heiminsassen liegen.
Meine Suche galt auch einem zweiten Eingang. Davon gab es mehrere, wie ich feststellen konnte. Ein großer Hintereingang befand sich ungefähr in der Mitte des Gebäudes, und es waren auch noch schmalere vorhanden, an den Seiten verteilt.
Ich zählte die Grabsteine.
Es waren sieben!
Das letzte Grab hatte noch keinen Stein bekommen. Zwischen den Steinen wucherte kniehoch das zähe Gras. Seine Spitzen schienen sich vor den Toten zu verneigen, wenn sie vom Wind bewegt wurden. Allmählich mußte ich mich entscheiden. Drei Eingänge standen mir zur Verfügung. Den Haupteingang wollte ich nicht nehmen. Wenn es eben möglich war einen der kleinen.
Rechtlich besaß ich keine Grundlage, das Haus zu betreten, deshalb zögerte ich auch und fand mich schon mit einer längeren Wartezeit ab, wobei ich hoffte, daß ich von der Horror-Oma irgendein Zeichen bekommen würde.
Von ihr bekam ich kein Zeichen, dafür geschah etwas anderes. Eine der hinteren Türen wurde nach innen geöffnet und entließ einen Mann. Sofort duckte ich mich tiefer hinter meine Deckung und dachte gleichzeitig an die Worte des Fahrers im Gasthaus. Er hatte berichtet, daß sich innerhalb des Heimes bis auf zwei Männer und diesem seltsamen Doc Rawson nur Frauen befanden. Jedenfalls kam mir einer der Männer unter die Augen.
Er blieb für einen Moment stehen, schaute sich um, so daß ich die Gelegenheit bekam, ihn genauer zu betrachten.
Für mich war er ein Typ, der jeden Befehl ausführte, ohne darüber nachzudenken. Eine kompakte Masse Mensch,
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