Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Titel: Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
Vom Netzwerk:
Völker. Wenn man Hindi spricht, wird man von rund 500 Millionen Menschen verstanden, 500 Millionen von 1,2 Milliarden. Wenn man Englisch spricht, wird man von rund 200 Millionen Menschen im ganzen Land verstanden, den Gebildeten.
    SCHMIDT Mehr oder weniger von der Oberschicht.
    LEE Ja. Es ist also nicht ein Land, und das kann es auch nicht sein. Anders als China. China ist in 4000, 5000 Jahren organisch gewachsen. Dabei ist es sinisiert worden, und die Angehörigen der ursprünglichen Völker wurden zu Chinesen, die dieselbe Sprache benutzen und zu Han geworden sind. Indien dagegen ist ein Produkt der Briten, die sich von der Vorstellung eines British Raj (Britisch-Indien) leiten ließen. Und sie verwirklichten ihr Konzept durch britische Eisenbahnen. Die Briten bildeten nicht etwa ein Indien unter britischer Herrschaft, sie schufen Indien. Daher sind Indien und China, abgesehen von der Bevölkerungszahl, zwei völlig verschiedene Kulturen.
    SCHMIDT Kommen wir auf Amerika zurück. Ich habe den Eindruck, dass Amerika in komprimierter Form vor ähnlichen Problemen steht. Wenn man heute auf einem amerikanischen Flughafen landet, hört man die Ansagen durch die Lautsprecher auf Englisch und Spanisch.
    LEE Das liegt an den Mexikanern, die ins Land kommen.
    SCHMIDT Das ist ein neues Phänomen. Vor dreißig Jahren gab es das nicht.
    LEE Es wird weitergehen, es wird eine schrittweise, aber unaufhaltsame Veränderung in der Zusammensetzung der amerikanischen Bevölkerung stattfinden. Weil sich die anderen Populationen schneller vermehren als die Weißen. Insbesondere die Hispanics, zumal die Grenze nicht abgeriegelt werden kann. Ich denke, ihre Kultur wird zur beherrschenden Kultur werden.
    SCHMIDT Seit wann sind Sie dieser Meinung?
    LEE Seit wann ich glaube, dass dies der Entwicklungstrend in den USA ist? Ich würde sagen, seit zwanzig Jahren.
    SCHMIDT Seit zwanzig Jahren. Ich habe es erst in den letzten zehn Jahren begriffen.
    LEE Die Einwanderung von Hispanics aus Mexiko und den Ländern bis hinunter nach Costa Rica und darüber hinaus ist enorm groß, zudem vervielfacht sich die Zahl der Schwarzen dreimal so schnell wie die der Weißen. Das wird die Gesellschaft grundlegend verändern. Allerdings bilden Afroamerikaner und Hispanics keine Einheit, sondern zwei unterschiedliche Blöcke. Die Afroamerikaner stehen den Hispanics ablehnend gegenüber, weil sie später dazugekommen sind und ihren Status als Minderheit geschwächt haben.
    SCHMIDT Aber beide gehören immer noch zur gesellschaftlichen Unterschicht. Sie verlangen nach der gleichen Unterstützung durch die Gesellschaft. Und das könnte im Lauf des Jahrhunderts die amerikanische Politik erheblich verändern. Ich vermute, dass die Neigung, die Ordnung im Rest der Welt aufrechtzuerhalten, abnehmen wird, langsam zwar, aber am Ende des Jahrhunderts wird Amerika keine elf Flugzeugträgerflotten mehr unterhalten.
    LEE Das hängt von der Wirtschaftskraft ab. Wie gesagt, ich glaube, dass 2035 das chinesische BIP höher sein wird als das der Amerikaner. Aber deren Technologie ist weit höher entwickelt, und die Chinesen werden bis zum Ende des Jahrhunderts brauchen, um bei Flugzeugträgern, Raketen und so weiter mit der amerikanischen Technologie gleichzuziehen. Und weil auch die Soft Power immer noch auf Seiten Amerikas ist, wird China nicht in demselben Umfang ausländische Talente anziehen wie Amerika.
    SCHMIDT Es gibt ein Gebiet, auf dem Amerika sich nicht auszeichnet – das ist die Musik.
    LEE (lacht) Aber es hat den Jazz.
    SCHMIDT Jazz ist das eine, was in der Musik wirklich amerikanisch ist – wenn auch nicht ganz, er hat teilweise afrikanische Wurzeln –, und das andere ist das Musical, auch das ist eine amerikanische Erfindung. Aber Amerika hat weder einen Beethoven noch einen Bach oder Verdi hervorgebracht.
    LEE Es ist eine andere Kultur, eine Kultur, die vom Kapitalismus angetrieben wird. Mit Bach, Beethoven und Mozart kann man keine Millionen machen, aber mit …
    SCHMIDT Michael Jackson!
    LEE Mit Michael Jackson, mit Popsongs, kann man Millionen machen. Also wenden sich die Talente diesem Gebiet zu.
    SCHMIDT Heute komponiert, in zehn Jahren vergessen.
    LEE Aber bis dahin haben der Komponist, der Produzent und der Medienkonzern Milliarden verdient.
    SCHMIDT Das führt mich zu einer generellen Frage nach dem amerikanischen Kapitalismus. Wird er Bestand haben, oder wird er korrigiert werden? Amerika hat zwei weltweite Rezessionen verursacht, das erste Mal in den

Weitere Kostenlose Bücher