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Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Titel: Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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auch kamen, alle waren, mit wenigen Ausnahmen, von Europa beeinflusst.
    LEE Kein Zweifel, der kulturelle Einfluss der Europäer ist weltweit und nachhaltig. In der Musik und bei der bildenden Kunst sind sie führend. Nehmen wir die Musik. Die Chinesen haben fünf Töne, deshalb ist die Spannweite der Musik, die sie machen können, begrenzt, und auch ihre Instrumente halten dem Vergleich mit den europäischen nicht stand. Obwohl, ich war einmal in einem Museum, wo man mir eine Reihe von chinesischen Glocken zeigte, die alle in Größe und Klang verschieden waren, und das war eine wunderbare Musik. Aber sie haben eben keine sieben Töne. Das haben sie versäumt. Fünf Töne in der Musik, das ist ungeschickt.
    SCHMIDT Ich glaube, die Inder haben mehr als fünf und sogar mehr als die Europäer. Kennen Sie Ravi Shankar?
    LEE Ah, ein großer Meister.
    SCHMIDT Er spielt Vierteltöne.
    LEE Aber die indische Musik hat sich nur im indischen Film durchgesetzt. Und Bollywood ist eine Nachahmung von Hollywood.
    MATTHIAS NASS Was ist mit der künftigen ökonomischen und politischen Rolle Europas? Amerika war immer auch eine »pazifische Nation« mit Interessen in diesem Teil der Welt. Europa hingegen scheint keinerlei strategische Interessen in Asien zu haben. Hat Europa in einer multipolaren Welt keine andere Zukunft, als zum Museum zu werden?
    LEE Wenn Europa sich nicht vereinigt und in 27 Länder aufgeteilt bleibt, wird es gegenüber Amerika und China und sogar gegenüber Russland im Nachteil sein. Die Gefahr, an den Rand gedrängt zu werden, wird die Europäer jedoch zu der Einsicht bringen, dass sie eine Föderation in irgendeiner Form hinbekommen müssen. Der Prozess wird sich allerdings langsam und schmerzhaft vollziehen und aufgrund der Geschichte und der Sprachen nie vollständig abgeschlossen werden.
    SCHMIDT Andererseits werden die Europäer unter abnehmender Bedeutung nicht leiden. Sie werden an Bedeutung verlieren …
    LEE Aber ein bequemes Leben führen.
    SCHMIDT Ja – und sehr alt werden. Sie werden älter als Sie und ich werden! Der Trend geht jetzt in Richtung 100.
    LEE Das kann nicht funktionieren. Im Verhältnis zu der Rate, mit der die Bevölkerung abnimmt, ist das untragbar. Wenn das so weitergeht und man auf die 200 Jahre Lebenszeit zusteuert, müsste ein Mensch für fünf arbeiten. Das ist unmöglich.
    SCHMIDT Die große Aufgabe für die Europäer besteht darin, dass sie extrapolieren und das Sozialversicherungssystem so anpassen müssen, dass ein Mensch über das fünfundsechzigste und später über das siebzigste Lebensjahr hinaus arbeiten kann und muss.
    LEE Diese Aufgabe gilt für alle Länder. Auch die Chinesen werden länger arbeiten müssen, denn sie werden unter den Folgen der Ein-Kind-Politik leiden und schrumpfen.
    SCHMIDT Ja, sie werden das gleiche Problem bekommen wie wir in Europa.
    LEE Sie stehen bereits vor diesem Problem.
    SCHMIDT Zur Aufrechterhaltung des Lebensstandards ist es notwendig, die Menschen umzuschulen, und zwar rechtzeitig, zu einem Zeitpunkt, an dem das Gehirn noch fähig ist, sich auf eine neue Arbeit zu konzentrieren. Vielleicht sind solche Umschulungen sogar zweimal im Leben notwendig.
    LEE Es gibt Untersuchungen, nach denen die technologische Entwicklung das Wirtschaftsleben derart rasant verändern wird, dass man dreimal im Leben eine neue Arbeit erlernen muss.
    SCHMIDT Sogar dreimal! Älteren Menschen diese künftige Notwendigkeit heute begreiflich zu machen, ist sehr schwer.
    LEE Aber die jüngeren Leute sind sich immer klarer darüber, dass sie weit über das fünfundsechzigste Jahr hinaus arbeiten müssen.
    SCHMIDT Als Bismarck am Ende des 19. Jahrhunderts die Invalidenrente für die Massen einführte, lag das Eintrittsalter bei siebzig Jahren. Aber neunzig Prozent der Arbeiter starben vor ihrem siebzigsten Geburtstag, die bekamen also keinen Pfennig. Während des Ersten Weltkriegs wurde die Altersgrenze von siebzig auf fünfundsechzig Jahre gesenkt. Heute gehen die Menschen im Durchschnitt mit 62 Jahren und ein paar Monaten in Rente. Ich denke, wir werden das Ganze sogar auf über siebzig Jahre ausdehnen müssen.
    LEE Das ist nicht tragbar.
    SCHMIDT Muss man also darüber nachdenken, Menschen zu töten?
    LEE Nein, natürlich nicht. Aber die Jungen werden rebellieren. Sie produzieren das BIP und müssen zugleich die Alten unterstützen.
    SCHMIDT In Deutschland leiden heute schon rund 1,5 Millionen Menschen an schwerer Demenz. Wie viele Demenzkranke haben Sie hier?
    LEE

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