Ein letzter Brief von dir (German Edition)
blickte Orla in die Augen und sagte düster: «Ich bin verliebt.» Sie ließ den Kopf hängen und zog an ihrer krummen, kleinen Zigarette. «Es passiert nicht häufig, aber wenn es passiert, bin ich ein monogames Mädchen.» Anthea drückte mit den Fingern gegen ihre Schläfen und hielt mühsam die Tränen zurück. «Und wie üblich ist es eine Katastrophe. Du hast ihn eben kennengelernt. Sag mir, wie hätte ich ihm nicht verfallen sollen?»
«Sprichst du über Tom Best? Aber der ist verheiratet», sagte Orla.
«Nein!» Anthea zuckte in gespieltem Entsetzen zurück, dann nahm sie ihren bitteren Ton wieder auf. «Ja, Püppchen, er ist verheiratet. Sie sind alle in festen Händen. Und ich bin eine Beziehungskillerin, aber nicht
deine
Beziehungskillerin.»
Wie Juno gesagt hatte, man erkennt Liebe, sobald man sie sieht. Seit Marek sie verlassen hatte, war Orla besonders sensibel, und jetzt erkannte sie sie in den Augen der rotzigen Anthea.
Absurderweise wünschte sich Orla nun, Anthea sei Sims Geliebte gewesen.
«Das hier», Orla tippte dankbar auf das Tagebuch, «wird uns die Wahrheit verraten.» Sie öffnete es und blätterte es durch, blieb an einer Seite gegen Ende hängen. Da hatte sie schon registriert, dass das Papier nicht liniert war, und auch nicht gelb, wie sie es in Erinnerung hatte. «Macbeth», sagte sie zu sich selbst.
«Ja, mein Rollenheft.» Anthea runzelte verdutzt die Stirn. «Sim hat mir die Mappe machen lassen, nachdem ich am ersten Probentag sein Tagebuch bewundert hatte. Süße Idee. Jetzt benutze ich sie für jede neue Rolle. Mein Name ist draufgestempelt.» Sie lehnte sich herüber, klappte es zu und zeigte auf die goldgeprägten Buchstaben.
Anthea Blake, A-Promi
. «Wie soll mein Rollenheft dir die Wahrheit verraten?»
«Das kann es natürlich nicht.» Orla erhob sich und hielt ihr die Mappe hin. «Du hast das schon getan. Es tut mir wirklich leid, Anthea. Wirklich, wirklich leid.» Sie hatte so unrecht gehabt.
Orla hatte die letzten beiden Monate dieses Riesenmissverständnis gehegt und gepflegt und ihm Marek geopfert. Er befand sich außer Reichweite im kalten, sauberen Schnee, während sie durch diesen Sumpf hier watete, zusammen mit einer beschwipsten Frau, die für «ein bisschen Spaß» die Freunde anderer Leute vögelte.
«Nein, nicht weinen. Ist schlecht für die Haut. Die Menschen tun die seltsamsten Dinge, wenn jemand stirbt, vermute ich.» Anthea schlüpfte in diese neue, freundliche Rolle so mühelos wie in eine ihrer vielen Blusen. «Ich hatte schlimmere Stalker als dich.»
«Ich bringe sie besser nach Hause.» Orla deutete auf Maude. «Hast du eine Nummer für ein Taxi?»
«Meine Assistentin ist unten. Wenn sie nicht zu besoffen ist, lasse ich sie das regeln.» Anthea stand auf, duckte sich vor den Spiegel des Schminktisches und spielte mit ihrem unordentlichen Haar. «Mein Glück, dass Bedhead-Frisuren gerade in sind.» Ein paar Bürstenstriche, hektisches Hantieren mit Pinseln und Puder, und Anthea war wieder präsentabel. «Ich müsste dir danken. Über diese verdammte Party werden die Leute noch jahrelang reden.» In dem schmeichelnden Licht sah Anthea plötzlich zehn Jahre jünger aus.
«Kannst du mir sagen, in wen Sim verliebt war?»
Anthea blickte Orlas Spiegelbild direkt ins Gesicht. Ihre grünen Augen funkelten im Glas. «Ich schulde dir gar nichts.» Ihre Augen wanderten zu ihrem eigenen Gesicht zurück, sie glättete mit dem Finger eine Augenbraue. «Ich habe einen Verdacht», sagte sie schließlich. «Eine Ahnung. Aber ich kann dir keine bloße Ahnung verraten, Püppchen, sonst fängt dieser Irrsinn bei jemand anderem von vorne an. Der es am Ende auch nicht verdient hat.»
«Weiß Reece es?»
«Ach, Reece.» Anthea atmete schwer aus. «Der Hüter all unserer dunkelsten Geheimnisse. Lass es mich so sagen. Ich wäre erstaunt, wenn er es nicht wüsste. Aber weißt du, wenn er es dir noch nicht gesagt hat, musst du ihm damit erst gar nicht auf die Nerven gehen. Bei Reece hat Schadensbegrenzung oberste Priorität.»
Anthea schüttelte sich und leuchtete wieder. Als sie ihre Schuhe anzog, wuchs sie um zehn Zentimeter und warf die Schultern zurück.
«Zeit, mich wieder ins Getümmel zu stürzen.» An der Tür blieb sie stehen. «Eine Sache noch, dann ist das Thema für mich erledigt. Wenn
du
am Valentinstag gestorben wärst, würde Sim sich nicht quälen. Er hätte einen Neuanfang gemacht. Tu du das auch.»
Sobald sie gegangen war, sah das Zimmer wieder trist
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