Ein letzter Brief von dir (German Edition)
einem ausweichenden «Ach, so dies und das» beantwortete. Aber jetzt waren plötzlich auch die Kleinigkeiten wichtig.
«Ich habe in jede Schublade, in jeden Schrank geschaut. Das Tagebuch ist einfach nicht da. Reece – den hast du bestimmt getroffen, er ist Sims Agent – er hat seine persönlichen Sachen aus dem Krankenhaus mitgebracht. Er hatte es auch nicht bei sich, als er zusammenbrach.»
«Ich helfe dir morgen früh bei der Suche. Wein hilft nicht gerade, wenn man Detektivarbeit leisten muss. Es muss hier sein. Er hat sehr daran gehangen. Ungewöhnlich stark sogar. Oh.» Maude blinzelte zur Kommode hinüber, wo der rosafarbene Umschlag gegen eine Tonvase gelehnt stand. «Was ist das? Da steht dein Name drauf, Liebes.» Maude beugte sich vor, um den Umschlag in die Hand zu nehmen. «Hast du das mitgebracht?»
«Ja. Das ist nichts.»
«Guter Gott! Es ist eine Valentinskarte.» Maude schlug die Hand vor den Mund. «Du armes Mädchen.»
Orla musste sich zurückhalten, um ihr die Karte nicht aus der Hand zu reißen. Sie nickte.
«Das ist hart.» Maude legte den Umschlag auf den Tisch, die Hände flach zu beiden Seiten daneben. «Willst du sie gar nicht öffnen?»
«Jetzt noch nicht.» Orla schob die Karte ein, zwei Zentimeter fort von den Gläsern, fort von der Katastrophe, die verschütteter Barolo anrichten konnte. «Das brauche ich nicht zu tun.»
«Erklär mir das, Liebes.»
«Ich weiß, was drinsteht.»
«Alles Liebe zum Valentinstag, vermutlich», schlug Maude vor. «Hat Sim sie unterschrieben oder nur ein Fragezeichen daruntergesetzt?»
«Sim unterschreibt sie immer.
Hat
sie unterschrieben. Er ist – er war ziemlich gut im Kartenschreiben. Hat aus jeder einzelnen etwas ganz Besonderes gemacht, weißt du?»
«Kann ich mir vorstellen.» Maudes Augen funkelten fröhlich.
«In dieser Valentinskarte steht ein Heiratsantrag.» Orla biss sich auf die Lippe und fuhr dann fort. «Also hat Sim mich tatsächlich gefragt, ob ich ihn heiraten möchte, bevor er tot umfiel.»
«Bist du sicher?» Im Schein der Kerze war es schwierig zu erkennen, ob Maudes Gesichtsausdruck freudig oder entsetzt war.
«So sicher, wie man nur sein kann.»
Sie schwiegen einen Moment lang. Dann fragte Maude: «Was hättest du denn geantwortet?»
«Das lauteste Ja in der Geschichte der Jas.»
«Und warum liest du den Heiratsantrag dann nicht, beantwortest ihn in Gedanken und verstaust die Karte an einem sicheren Ort?»
«Maude, ich kann nicht zulassen, dass mein Herz zwei Mal in einem Monat gebrochen wird.»
«Du
wirst
sie lesen.» Maude war voller Energie, nahm das Tablett, brachte es zur Spüle und kam mit einer weiteren Flasche Rotwein zurück. «Und soll ich dir auch sagen, wann?»
«Wenn du willst.» Orla war müde bis in die Knochen. Sie trank niemals viel, und die zweite Flasche Wein weckte einen beängstigenden Durst in ihr.
«Wenn du glücklich bist.»
Orla prustete fast den Wein über den Tisch.
Maude fuhr fort: «Das Glück kriecht durch die Fensterritzen, wenn du die Tür verriegelst. Vertrau mir. Ich war auch schon einmal so traurig wie du, und jetzt sieh mich an. Fröhlich wie, na ja, ich bin nicht so gut mit Metaphern. Fröhlich halt, zufrieden. Jetzt, in diesem Moment, glaubst du noch, dass du nie mehr so heftig kichern wirst, dass du pupsen musst, aber ich versichere dir feierlich, dass du das eines Tages tun wirst. Es kommt wieder.» Maude hob ihr Glas. «Das schwöre ich feierlich.»
Orla konnte auf den Zug nicht aufspringen. «Entschuldige. Normalerweise bin ich wirklich eine bessere Gesellschaft.» Maude bemühte sich so sehr, aber sie war ein grauenvolles Publikum.
«Liebes, du bist völlig durcheinander. Ist das dein erster Trauerfall?»
«Nein. Mein Vater ist gestorben, als ich einundzwanzig war.»
Herrje, vor zwölf Jahren.
Ihr Pa war schon ein Jahrzehnt nicht mehr auf der Welt; er hatte niemals von Barack Obama gehört, niemals
Avatar
gesehen, vier seiner sieben Enkel nie kennengelernt. «Aber das war etwas anderes. Pa war ewig krank. Ich bin in der Zeit wieder nach Hause gezogen. Es war zuletzt eine ganz friedliche Angelegenheit.» Die Familie hatte sich die Klinke in die Hand gegeben. Es war immer Tee in der Kanne gewesen. Father Gerry war ständig da. Jim Cassidy war einen traditionellen irischen Tod gestorben. Nichts war ungesagt geblieben. Als er Mas Hand im Morgengrauen losließ, war der arme alte Mann vollkommen erschöpft von all den
Ich liebe dichs
.
«Bei Sim ist es viel zu
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