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Ein letzter Brief von dir (German Edition)

Ein letzter Brief von dir (German Edition)

Titel: Ein letzter Brief von dir (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Ashton
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Schulter ist dafür da, dass du an ihr schluchzen kannst. Aber komm auf keinen Fall nach Hause!»
     
    Juno hatte recht gehabt mit ihrem Misstrauen. Das Tagebuch, so wichtig es ihr war, war doch nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver. Es war London mit all seinen Fehlern und Mängeln, die Orla genau so erwartet hatte, das sie hier hielt.
    Jeden Morgen, wenn Orla in dem Schlafzimmer mit der Blümchentapete und dem Blick auf die Mülltonnen im Hof erwachte, flüsterte sie der Valentinskarte auf dem Nachttischchen zu wie Dorothy in
Der Zauberer von Oz
: «Wir sind nicht mehr in Kansas, Toto.» London war Sims Wahlheimat, und sie fühlte sich ihm hier näher als zu Hause. Er hatte gesagt, er fühle sich hier so wahrhaftig. Orla versuchte, diesen Ort zu verstehen, um Sim zu verstehen, und teilte ihre Beobachtungen mit der Valentinskarte.
    London ist schmutzig
, sagte sie zu ihr. Jedes Mal, wenn sie aus der Haustür trat, watete sie durch ein Meer aus Apfelbutzen, Zigarettenstummeln, leeren Getränkedosen und achtlos fallen gelassenen Tageszeitungen.
Es ist laut
. Sie und die Valentinskarte hörten gemeinsam zu, wie eine U-Bahn nach der nächsten wie eine marschierende Armee über die Brücke donnerte.
Es ist unfreundlich.
In Tobercree grüßten sich die Leute. Sie nickten, zwinkerten sich gegenseitig zu und tauschten Nettigkeiten aus. Natürlich war Orla nicht so naiv, zu glauben, dass dort alle vor Nächstenliebe nur so überquollen, aber sie war sich sicher, dass jeder Einzelne nach einem Eimer Wasser greifen würde, wenn sie «Feuer!» schrie. Der dunkeläugige Mann im Mini-Mart dagegen nahm Orla kaum wahr, als er ihr Geld in seine trockene Hand nahm, misstrauisch die Münzen in die Ladenkasse zählte und ihr den Bon aushändigte.
Der würde mich, ohne mit der Wimper zu zucken, verbrennen lassen
, erzählte sie der schockierten Karte.
    Aber sie schob ihr Heimweh entschlossen beiseite, und Juno feuerte sie über die Keltische See hinweg dabei an. Orla vermisste den Duft der taufeuchten Wiesen am Morgen und die sauberen grauen Dächer der Stadt, die sich den Hügel hinunterzog, aber jetzt aufzugeben und wieder zurückzukehren würde gar nichts helfen. Nichts war mehr einfach in Orlas neuem Leben. Sie sehnte sich nach Sim, aber leider bot Ryanair noch keine Zeitreisen an.
    «Die Qual, an dem Ort zu sein, der ihn getötet hat, lenkt mich von der Qual ab, ohne ihn zurechtkommen zu müssen», hatte Orla Maude erklärt, als sie ihr dabei half, die Biographien im Buchladen alphabetisch zu ordnen. «Das ist echt krank, ich weiß schon.»
    «Und warum, bitte schön, hasst du London so sehr?» Maude drückte Oscar Wilde kurz an ihr Herz, bevor sie ihn ins Regal stellte.
    «Also, zuerst einmal ist es viel zu groß. Wie soll man da Leute kennenlernen? Und niemand sieht glücklich aus. Und es gibt viel zu viele Autos. Jeder kommt von irgendwo anders her, es ist wie ein einziges riesiges, möbliertes Zimmer. Es ist einfach kalt. Kalt kalt kalt.»
    «Und ich? Ich bin also kalt?» Der Gedanke schien Maude zu amüsieren. Sie warf eine Kerry-Katona-Biographie auf den Grabbeltisch.
    «Nein. Du bist die große Ausnahme.»
    «Hier.» Maude reichte Orla ein liniertes Blatt Papier. «Sei doch bitte ein Schatz und besorg mir ein paar Kleinigkeiten.»
    Draußen auf der Straße überflog Orla die Liste. Sie hatte schnell gelernt, dass das freundliche «Liebes» und «Schätzchen» hin und wieder etwas gebieterischer klangen als sonst und meistens die Forderung nach einer Besorgung einleiteten. Sogar Stammkunden gingen hin und wieder nach nebenan in den Mini-Mart, um für Maude schnell eine Flasche Milch zu besorgen. Maude wartete niemals auf ein Ja oder Nein, sie erwartete ganz einfach Gehorsam.
    Zuerst zu Greggs, ein Plunderteilchen kaufen, dann zum Eisenwarenhändler, Sicherheitsdraht besorgen. Orla ging die Straße hoch und betrat jeden einzelnen Laden, an dem sie vorbeikam. Es war fast, als ob Maude sie dazu zwingen wollte, mit ganz normalen Londonern aus der Nachbarschaft zu reden.
    Zu Hause konnte es regelrecht gefährlich sein, in die Drogerie zu gehen. Orla erschauderte immer noch bei der Erinnerung daran, wie sie einmal ihren Schwager traf, als sie sich gerade den Arm voller Maxi-Slipeinlagen-Packungen geladen hatte. Hier war es unwahrscheinlich, auf ein bekanntes Gesicht zu treffen. Orla nahm einen Tiegel Feuchtigkeitscreme aus dem Regal und stellte sich in die Schlange an der Kasse.
    Die langen, falschen Wimpern an einem Aufsteller

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