Ein letzter Brief von dir (German Edition)
gekümmert – noch der letzte Lichtschalter war weiß. Larry hatte sich eher etwas im georgianischen Stil vorgestellt.
«Hör mal, mein Schätzchen», fuhr Juno fort, «du brauchst doch wohl keine ganze Woche, um eine Wohnung von der Größe zu durchsuchen. Also was hält dich noch in London?»
Die beiden Freundinnen waren immer ehrlich zueinander gewesen. Zum Glück ersparte Jacks plötzliches Heulen Orla die Antwort. Sie konnte die diffusen, aber hartnäckigen Fragen zu Sims letzten Monaten, die wie ein rostiger Anker auf dem Meeresboden an ihrem Unterbewusstsein zerrten, nicht mit Juno teilen.
«Pst, Jack! Ruhe jetzt! Mami ist gleich bei dir!» Juno wandte sich wieder Orla zu.
«Er hat Hunger. Ich habe Monsieur losgeschickt, damit er ein Curry holt. Hab gesagt, ich sei zu müde zum Kochen.»
«Ich bin schockiert. Du? Vernachlässigst deine Hausfrauenpflichten? Niemals.»
«Ich fürchte mich vor diesem neuen Herd. Er hat vierzehn Knöpfe! Die Menschheit ist mit weniger Schaltern auf den Mond geflogen. Wenn du den Vergleich entschuldigst.»
«Jack klingt so niedlich, wenn er weint.» Das Gefühl von Neid war neu und absolut unerwünscht. Orla hatte Juno noch nie die Kleider, Taschen, Schuhe, den Ehemann, das spacige Haus oder das bildhübsche Kind geneidet. «Er klingt wie ein schläfriges Kätzchen.» Trauer färbte ihre Gefühle wie mit breiten Wachsmalstrichen: Sie wollte ein Baby. Sie vermisste das Kind, das sie vielleicht mit Sim gehabt hätte.
«Ja. Hör dir das den ganzen Tag lang an, dann ist es nicht mehr ganz so niedlich.»
«Sag doch mal was Nettes über ihn, Ju. Er sieht aus wie George Clooney im Miniformat, aber du scheinst das gar nicht zu sehen. Du bist wirklich nicht normal, nein, das bist du nicht.» Orla machte den Tonfall von Junos Mutter nach.
«Ach, halt den Mund, du. Du weißt doch, wie ich bin. Ich kann dieses alberne Heitatei nicht leiden, aber ich würde mich sofort vor den Zug werfen, um den kleinen Jackster zu retten. Für dich würde ich das übrigens auch tun. Das weißt du doch, oder, Fräulein?»
«Das weiß ich.»
«Ich muss dich um einen Gefallen bitten, Orla.»
«Heute Abend kann ich nicht babysitten, wenn du das meinst.»
«Hör mal. Bitte bleib in London und erlebe für mich ein Abenteuer. Benutz dieses verdammte Tagebuch ruhig als Ausrede, wenn du das brauchst, aber komm bloß nicht nach Hause und verwese in Tobercree wie wir anderen alle.»
«Ist Jack denn kein Abenteuer?»
«Natürlich ist er das, aber bestimmt kein leichtsinniges, schmutziges, versautes wie das, das du haben solltest. Jetzt, wo man dir die Freiheit sozusagen aufgezwungen hat, solltest du sie nicht vergeuden.»
«Es fühlt sich aber überhaupt nicht an wie Freiheit, Ju.» Eher wie eine Gefängniszelle. «Ich bin nicht wie du. Mir fehlt dein Mut.»
Juno rieb sich an den vielfältigen Annehmlichkeiten ihres Lebens, obwohl sie sie selbst gewählt hatte. Sie war der aufsteigende Texter-Stern in Dublins inzestuöser Werbersippschaft gewesen und hatte ihrer Karriere in der Sekunde den Rücken gekehrt, als klar wurde, dass ihr Boss sich in sie verliebt hatte. Die Beziehung hatte mit dem Tempo von Larrys Porsche Fahrt aufgenommen – von einem zwanglosen Drink nach der Arbeit bis hin zu einer märchenhaften Hochzeit. Ein Flitterwochenbaby war eigentlich sogar für die beiden ganz schön prompt, aber, siehe da – kaum neun Monate später kam Jack auf die Welt. Aber immer noch wehrte sich Juno dagegen, sich Hausfrauenfähigkeiten anzueignen. Sie schimpfte über ihren liebenden, gutmütigen Gatten, als wäre er ein Tyrann.
«Du bist eine verdammte Tigerin, Cassidy. Die Beziehung mit Sim hat deine Krallen stumpf werden lassen. Er war so …»
«So wie?», fragte Orla scharf.
«Na, du weißt schon, er konnte nicht gut mit Kritik umgehen.» Juno sagte es in scherzhaftem Ton, als ob es eigentlich etwas viel Schlimmeres bedeuten sollte. «Er war der Star, nicht wahr? Kein Platz für zwei von der Sorte in der Beziehung. Jetzt kannst du endlich, na ja,
du
sein.»
«Mal im Ernst: Du nimmst ausgerechnet diesen Moment in meinem Leben zum Anlass, mir eine Lektion in Sachen Selbstbewusstsein zu geben? Wenn du mir jetzt auch noch erzählen willst, dass ich die Angst spüren und es trotzdem tun soll, dann setz ich mich in den nächsten Flieger nach Hause und erwürge dich.»
«
Ich komme, Jack!
Hör mal, Süße, ich muss jetzt. Ruf mich an, wann immer du willst. Wälz deine Probleme auf mich ab. Meine
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