Ein letzter Brief von dir (German Edition)
für London», gestand sie Maude mit Tränen in den Augen. «Ich bin ein Kleinstadtmensch. Ich dachte, dass ein wenig Tapetenwechsel helfen würde, aber er hat mir nur bewiesen, dass mir gar nichts helfen kann. Ich meine, sieh mich nur mal an!» Sie tupfte ihre Augen mit einem halb aufgelösten Taschentuch ab. «Ich denke die ganze Zeit, dass ich überhaupt keine Tränen mehr produzieren kann, aber dann kommen doch immer noch neue.»
«So eine Ungeduld», hatte Maude entgegnet und ein leinenes Taschentuch hervorgezogen. «Hast du wirklich geglaubt, London sei so eine Art Wundermittel? Wo ist dein Schneid, junge Dame? Sim hat sich hier seinen eigenen Herausforderungen gestellt, erinnerst du dich? Ja, es war sein Traum, der da wahr wurde, aber gleichzeitig auch ein hartes Stück Arbeit.»
«Sein großer Durchbruch.» Orla fand das gebügelte Taschentuch irgendwie tröstlich.
Wenn ich meinen großen Durchbruch habe, wirst du auch deinen haben
, hatte ihr Sim unzählige Male versichert.
Ich werde dann auf eigenen Füßen stehen. Und du, Fee, wirst meine Frau sein. Alles ganz legal und wasserdicht.
«Aber, Maude», wandte Orla ein, «mein Job. Mein Haus.»
«Wenn dich deine Arbeitgeber schätzen, halten sie dir die Stelle frei. Wenn sie die Geduld verlieren, gibt es andere Jobs. Deine große Familie kann einspringen, deine Habseligkeiten wegpacken und aufbewahren und für eine begrenzte Zeit einen Untermieter finden.»
«Ich glaube …» Wieder tauchte plötzlich und ungebeten eine Erinnerung an Sim auf: wie er reagiert hatte, als sie das kleine Haus gekauft hatte, auf das sie so stolz war.
Was soll das heißen?
Er stellte sich in der Haltung seines Richard III . aus dem Shakespeare-Stück hin.
Dass du keine Zukunft für uns siehst? Oder glaubst du, ich bekäme keine Hypothek? Warum schneidest du mir nicht gleich die Eier ab und aus die Maus?
Die Lage des Hauses hatte ihn vollkommen aus der Fassung gebracht.
Warum zum Teufel kaufst du dir was am Arsch der Welt?
Einem Mann, der mietfrei am Schickimicki-Platz wohnte, zu erklären, dass der Arsch der Welt alles war, was sie sich leisten konnte, hatte seine Zeit gedauert. Das Cottage war eine Investition in ihre Zukunft, hatte sie ihm erklärt. Sie musste einen Fuß in die Immobilienlandschaft setzen und brauchte Platz für sich; sie hatte nicht vor, sich aushalten zu lassen und bei Bedarf die Platin-Kreditkarte ihres Filmstar-Freundes zu zücken.
Sie dachte oft an ihr Cottage. Die Straße, an der es stand, markierte die Grenze zwischen Wald und Stadt. An Sims Wutanfall dachte sie seltener. Wenn sie sich daran erinnerte, fühlte es sich immer noch irgendwie beengend an. Jetzt, da er tot war, konnte sie zugeben, wie enttäuscht sie gewesen war, dass er nicht einmal versucht hatte, sie zu verstehen.
«Deine Angst hat nichts mit dem zu tun, was sie auslöst», hatte Maude erklärt, als Orla unschlüssig über dem halb gepackten Koffer in Tränen ausgebrochen war. «Sie ist ein Zerrspiegel, Orla. Warum stellst du dich nicht dem schmutzigen alten London und versuchst herauszufinden, was Sim daran gefunden hat?»
«Vielleicht taucht das Tagebuch ja doch noch auf», hatte Orla gesagt, «wenn ich bleibe.»
Orla klopfte an Maudes Tür.
«Komm rein, komm rein, es ist Zeit für Wein», lachte Maude.
Orla war froh, Maudes Rat angenommen zu haben. Sie konnte Sim in diesem Haus spüren. Über die Grenze des Todes hinaus teilten sie das aufregende Erlebnis, sich selbst in einer fremden Stadt neu zu erfinden.
Und London war der ideale Ort, um einsam zu sein.
Kapitel acht
B ogna zuckte die Achseln. «Manchmal, ja, Leute machen Witz über Namen, aber mich das nicht kümmern.»
«Ich glaub dir sofort, dass dich das nicht kümmert!» Die Sonne schien fröhlich auf Maudes weiß gekalkte Wände. Maude, die auf einer Kiste hinter ihrem Verkaufstresen stand, war ganz hingerissen vom Selbstbewusstsein ihrer neunzehnjährigen Bewerberin mit dem Nasenpiercing und den engen Jeans. «Orla sagt, du seist eine lebhafte Bereicherung ihrer Klasse.»
«Das habe ich nie gesagt», protestierte Orla, die gegen ein Regal gelehnt dastand und so tat, als ob sie
Mansfield Park
läse. «Ich habe gesagt, dass sie gestern den ganzen Morgen damit zugebracht hat, Ning Pfefferminzbonbons an den Kopf zu werfen.»
Der dunkelhaarige Mann auf dem Ladensofa unterdrückte ein Lachen und bestätigte Orlas Verdacht, dass er ebenfalls nicht in sein Buch vertieft war, sondern lauschte.
«Orla hat langweilige
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