Ein letzter Brief von dir (German Edition)
heftig Creme in ihr Gesicht, als poliere sie ein Auto.
«Langsam, Liebes. Wäschst du dir nicht die Haare?» Maude war nicht einverstanden.
«Zu wenig Zeit. Ich stecke sie hoch.»
Und lasse sie damit noch schlimmer aussehen
, dachte Orla. «Soll ich das schwarze Kleid mit dem Zeugs auf den Schultern anziehen oder, warte mal, nein, das neue kann ich nicht anziehen, das hat er schon gestern Abend gesehen.»
«Schwarz mit Zeugs.» Maude war so entschieden, dass Orla argwöhnte, sie solle nur ruhiggestellt werden. «Also. Hör mal zu.» Maude saß auf der Bettkante und hielt Abstand zu den Tuben und Tiegeln, aus denen sich Orla, in einen viel zu kleinen Handspiegel blinzelnd, bediente. «Ich muss dir was sagen.»
«Ja?» Gespannt erstarrte Orlas Hand in der Luft, erst ein Augenlid war mit einem Kajalstrich verziert.
«Mach weiter, Liebes.» Maude breitete ihren weiten Samtrock um sich aus. «Ich habe darüber schon, na ja,
ewig
nicht mehr gesprochen, du musst mir also verzeihen, wenn ich etwas rostig klinge. Ich möchte dich gern wissen lassen, dass du nicht allein bist, nicht einzigartig. Jedenfalls nicht in einem wichtigen Punkt.»
Der Kajalstift verschwamm vor ihren Augen und wurde wieder scharf, während Orla wartete. Maude räusperte sich, untypisch zögerlich.
«Also. Arthur und ich haben 1961 geheiratet. Ich war zweiundzwanzig. Um dir das Kopfrechnen zu ersparen: Ich bin jetzt fünfundsiebzig. Vielleicht stellst du dir mich damals mit geglätteten Haaren und Minirock vor, aber die Swinging Sixties sind nicht bis in unsere Grafschaft vorgedrungen. Ich habe mich angezogen wie meine Mutter, ordentliche Kostüme und alberne Hüte und immer, immer Strümpfe.
Arthur war zu Höherem bestimmt. In der Weltsicht meiner Eltern, die ich genügsam und ohne nachzudenken übernommen hatte, bedeutete Höheres einen einflussreichen Job im Auswärtigen Amt. Aber das war nur das Sahnehäubchen, Arthur sah nämlich unglaublich gut aus. Als ich ihn zum ersten Mal sah, trug er weiße Tenniskleidung, und ich hielt ihn für einen jungen Gott.»
Ein Lippenstift lag vergessen in Orlas Schoß.
«Wir waren glücklich. Er ist der einzige Mann, mit dem ich je das Bett geteilt habe. Und das bereue ich nicht. Ich betete ihn an. Und er mich. Er war stolz auf mein Aussehen. Verzeih die Angeberei, aber jetzt, wo ich nur noch aus Falten und Knochen bestehe, habe ich das Gefühl, ich kann es so sagen. Er lobte mich auch für meine Haushaltung. Wir hatten ein entzückendes, geräumiges, weitläufiges Haus am Dorfrand, mit Ententeich und einer Weide voller fetter kleiner Shetlands, die ich liebte.
Von dem Moment an, in dem ich einen Fuß vor den anderen setzen konnte, wurde ich dazu erzogen, eine Ehefrau zu sein. Das hieß, hübsch auszusehen, aber nicht aufreizend, sich um das Haus zu kümmern und Babys zu produzieren. Letzteres war mir nicht möglich.
Arthur wünschte sich einen Sohn, einen Stammhalter, aber gemeinsam gelangten wir zu einer gelassenen philosophischen Einstellung dazu. ‹Egal›, sagte er. ‹Wir haben ja uns.› Das half, wenn ich mich gehenließ und in mein Kissen schluchzte. Ich stellte mir vor, wie unser Baby ausgesehen hätte. Seine Augen. Meine Haare, mit Gottes Hilfe. Es hätte … aber ich komme ab, Liebes, das ist eine andere Geschichte.
Er sagte es immer wieder. ‹Wir haben ja uns.› Wir waren uns sehr nah. Ich vermisste nichts. Und dann, nach vierunddreißig Jahren Ehe, machte die Krankheit alles zunichte. Oh, Orla, es war so schrecklich. Achtzehn Monate aussichtslosen Leidens für Arthur, der den Kampf in dem sicheren Wissen auf sich nahm, dass er nicht gewinnen konnte. Ich pflegte ihn, las ihm vor, schlief am Fußende seines Bettes. Ich wusste, er hätte dasselbe für mich getan. Meine Güte, Kind! Gaff mich nicht so an – schmink dich!»
«Ach so. Ja.» Eilig widmete sich Orla wieder ihrem Gesicht im Spiegel. Rouge aufzutragen schien ihr ein allzu banaler Akt angesichts Maudes Geschichte. Sie fragte sich, worauf sie hinauswollte.
«Arthur hinterließ mich gut versorgt, aber der Löwenanteil des Erbes ging an eine Frau im Nachbardorf. Eine Frau, die ich recht gut kannte. Jedenfalls hatte ich das gedacht. Arthur hatte mit ihr vier Kinder gezeugt. Ihnen ein Haus gekauft, Unterhalt gezahlt, sie auf die besten Schulen geschickt. Hatte jeden Mittwochabend dort verbracht, während ich glaubte, er befände sich im Dienste Ihrer Majestät in London.»
Orla blieb der Mund offen stehen. Manchmal, wenn sie sich
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