Ein letzter Brief von dir (German Edition)
nun den Wendepunkt in ihrer Geschichte erreicht zu haben.
«Aber du hast gefragt, wie ich es gemacht habe. Ich habe Haus und Hof verkauft und bin gegangen. Bis ins offene und moderne London. Ich hatte hier Freunde, aber ich habe sie nicht besucht. Herauszufinden, wer davon wusste und wer nicht, das war einfach zu schmerzhaft. Es war leichter, alle Bande zu durchtrennen.»
«Auch das zu deiner Mutter?», fragte Orla. Sie beobachtete Maudes zierliche Gestalt im Schrankspiegel, während sie sich die Bluse in den Bund stopfte und sich drehte, um sich von hinten zu sehen.
«Wir haben nie wieder miteinander gesprochen. 1999 ist sie gestorben.» Maudes Hände hielten nicht still, eine schob sich über die andere, immer wieder, als wollten sie einander rein waschen.
«Ich habe mich in ein neues Leben mit neuen Menschen gestürzt. Ich habe mein Geschäft eröffnet – nichts, was in meinen Kreisen üblich war, das kann ich dir versichern. Relativ spät im Leben wurde ich unabhängig, und es fühlte sich wunderbar an, Orla, wie wenn man nach einem Ball sein Korsett aufschnürt.»
Auch wenn sie noch nie ein Korsett getragen hatte und die Disco im Gemeindehaus von Tobercree wohl nicht als Ball durchging, musste Orla lächeln.
«Ich habe in dieses neue Leben gepasst, ich war wie ein Fisch im Wasser. Wer hätte das gedacht?»
«Ich», schmunzelte Orla. «Ich hätte das gedacht. Du würdest überallhin passen.»
«Ich wünschte, ich könnte dir durch die Trauer hindurch helfen, Liebes, aber das ist etwas, dem du dich allein stellen musst, das du aushalten und dann loslassen musst.»
«Ich weiß.» Das Problem war, Orla befand sich schon in der zweiten Runde. Gefühlsmäßig grüßte jeden Tag das Murmeltier, sie stellte sich, hielt aus, ließ los und begegnete denselben Gefühlen wieder von neuem.
«Glaub mir, Kind. Jetzt ist es am schlimmsten. Wenn diese Phase erst mal überwunden ist, wirst du voller Energie sein und das Leben angehen. An dem Punkt habe ich damals das Geschäft eröffnet. Und wenn
ich
das geschafft habe …» Maude ließ das Ende des Satzes in der Luft hängen, erhob sich mühsam und riet: «Parfum, Liebes, und zwar in die Haare. Das bringt einen jungen Mann in Fahrt.»
Kapitel neunzehn
U naufhörlich wurden Mezze gebracht. Ein lächelnder Schnurrbartträger nach dem anderen kam an ihren Tisch, um ihnen Tellerchen mit Hummus, Feta, Pilzen und gefüllten Weinblättern zu servieren.
«Hoffentlich hast du Hunger», sagte Marek, lehnte sich zurück und nahm das Festmahl in Augenschein.
«Oh, au, die Peperoni sind scharf!» Orla wedelte vor ihrem Mund herum und bereute ihr Draufgängertum. Sie
hatte
Hunger, sie hatte ganz vergessen zu essen. Ein weiteres Symptom des Rückfalls in schlechtere Tage, und nun war sie entschlossen, sich bei den Vorspeisen ranzuhalten. «Magst du griechisches Essen? Ich hätte vorher fragen sollen.»
«Ich mag Essen. Ich bin Pole. Wir lassen nichts stehen. Aber ja, ich mag auch griechisches Essen. Warst du schon mal in Griechenland?»
«Noch nie.» Orla war noch kaum irgendwo gewesen. Sie war eine Verfechterin des Urlaubs in Balkonien gewesen, noch bevor der Ausdruck erfunden worden war.
«Dann muss ich dich mal mitnehmen», sagte Marek. «Wir könnten zusammen die Inseln erkunden.» Ohne sie anzusehen, er konzentrierte sich gerade auf das Zusammenfügen eines Pitabrots und eines Fleischklößchens, fragte er: «Hättest du dazu Lust?»
«Ja», sagte sie und genoss die Vorstellung, irgendwohin «mitgenommen» zu werden. Sie wusste, für eine Reise mit Marek würde sie nicht nach Schnäppchen suchen oder Reisepässe besorgen müssen. «Du hast hervorragende Mezze-Manieren.» Sie lenkte die Unterhaltung weg von der Reise, denn sie verspürte eine Scheu, ihre zarte Beziehung in die Zukunft zu projizieren.
Marek warf ihr einen fragenden Blick zu.
«Es gibt Menschen, die haben überhaupt keine Mezze-Manieren. Sie stürzen sich wie die Vandalen auf den Hummus und verrühren alles, lassen Feta in die Oliven fallen und so was. Du gehst die Sache ruhig an, tunkst nichts zweimal ein, schnappst dir nicht die besten Stücke.» Orla freute sich über das belustigte Aufglimmen in Mareks dunklen Augen und vertiefte ihr schalkhaftes Thema. «Und du hast nicht versucht, mich zu füttern. Das endet immer böse, üblicherweise mit Taramosalata in meinem Haar.» Sie wurde von einem hicksenden Lachen belohnt. «Meine Freundin Juno hätte den Mann, den sie geheiratet hat, beinahe beim
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