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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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aber er versteht es nicht. Sein Eigensinn ist aus reinem Gold. Ulrike und ihm gelingt, was immer schon gelingen wollte. Sobald Ulrike sein ist, wird er den Weltfrieden stiften. Feindseligkeit, eine ausgestorbene Sprache. Alles Ungute in dieser Welt kommt nur daher, dass er Ulrike noch nicht hat. Ein Leben lang war es ihm keine Sekunde lang langweilig. Jetzt könnte er rasend werden vor Langeweile, wenn er sie nicht wenigstens sieht. Wer die Welt retten will, muss ihm Ulrike geben. Wenn er etwas berührt, blüht es. Und hört nicht auf zu blühen. Die Tage sind aus Seide, die Welt ein warmer Wind. Mit ihrem tönenden Geschmeide brüsten die Vögel sich, sie singen nur noch ihren Namen. Ich wollte nicht mehr so fromm sein, wie ich jetzt bin. Plato hat, weil er das Schöne verloren hat, die Erinnerung erfunden. Ich werde die Erinnerung verlieren, weil ich das Schöne gefunden habe. Wenn du bei mir bist, haben Zukunft und Vergangenheit keinen Wert. Bitte, Armut, brich nicht aus. Bewahre mich, Traum. Ihr gegenüber zu sitzen macht dich so leicht, wie sie ist. Ihr Blick hält dich. Es gibt nichts Zuverlässigeres als ihren Blick. Ich werde keine Schreie mehr ausstoßen. Weinen nur noch vor Glück. Deinen Mund werde ich sorgfältig überraschen. Deine Brüste entdeck ich mit frommen Händen. Deine Leichtigkeit feiert Triumphe. Wenn du mir, bevor wir zu essen anfangen, beide Hände über den Tischreichst, werden meine Hände dich empfangen, das Tischgebet einer neuen Religion. Es wird nichts geben, was wir nicht von einander wissen wollen. Wenn ich dich lieben darf, bin ich unsterblich. Erst dann. Jetzt weiß ich, warum ich nie jemanden hassen konnte. In mir war eine Liebe daheim, ein Leben lang, die schlief, die träumte, die schweifte ein paarmal aus, nannte sich so, nannte sich anders, floh wieder zurück, eigentlich wartete sie. Das hat mir die Kraft gegeben für alles. Jetzt weiß ich: Meine Liebe hat auf dich gewartet. Wenn du sie nicht willst, vernichtet sie mich. Und ich wehre mich nicht. Meine Liebe weiß nicht, dass ich über siebzig bin. Ich weiß es auch nicht.
    Er merkte, wie er sich in den erwünschten Ton hineingeschrieben hatte.
    Der Kostümball, zu dem der König von Württemberg geladen hat, wird für den liebenden Mann die öffentliche Generalprobe sein. Kostüme von dunkler Vorzeit bis in die helle Gegenwart, stand auf der Einladung. Er hatte, schon bevor er die Einladung zu Ende gelesen hatte, gewusst, was sein Kostüm sein werde: hellblauer Frack, gelbe Weste und gestiefelt. Das musste aber sein Geheimnis bleiben für gar alle. Nur Stadelmann und der Schneider Blastimir durften es wissen.
    Stadelmann war glücklich, wieder einmal an einem Abenteuer mitwirken zu dürfen. Der Blastimir, der bisher nur für Änderungen bestellt worden war, rief, als man ihm das Kostüm beschrieben hatte: Werther. Das war der richtige Mann. Blauer Frack, gelbe Weste, ganz helle Stiefel.
    Als Ulrike fragte, als wer er zum Ball komme, sagte er, dass er das nicht sagen werde.
    Schön, sagte sie, dieser Geheimtuerei schließe ich mich gerne an. Ihre Mutter wird als Madame Pompadour erscheinen, der Graf Klebelsberg als Louis XIV, Dr.   Rehbein und Catty von Gravenegg als Romeo und Julia, Graf Leuchtenberg als Prometheus, der der Menschheit nicht das Feuer bringt, sondern die Dampfmaschine   … Die Hohenzollern-Prinzessin und der Graf Saint-Leu wollten, wie Ulrike und Goethe, nicht preisgeben, wer sie sein werden. Der Ball wird drüben im Palais stattfinden.
    Sooft sie bis zum Ballabend noch promenierten – da er nicht sagte, wer er sein werde, gab sie sich auch nicht preis.
    Ob er raten dürfe?
    Dürfe er, aber sagen werde sie nichts.
    Jungfrau von Orléans, sagte er. Weil sie ihn fast jäh überrascht ansah, sagte er, da er glaubte, ihre Figur auf Anhieb getroffen zu haben, das sei nicht schwer gewesen. Schiller sei doch ihr Dichter, und Frauenfiguren, deren man sich einen Ballabend lang annehmen möchte, seien beim Kollegen Schiller eher selten. Elisabeth und Maria Stuart fallen weg, wegen zu viel Politik. Kein Mensch will Amalie in den Räubern sein. Also, also, also: die Jungfrau. Das ist eine Figur, mit der kann man einen Saal beherrschen. In der natürlichen Kühnheit, die Ulrike eigen sei in allen ihren Gesten, sei die Jungfrau von Orléans immer schon enthalten. Sie lächelt, dachte er, wie noch nie. Er hatte es getroffen.
    Und Sie, sagte sie dann.
    Kein Schillerheld, sagte er. Dass sie nicht Gretchen am Spinnrad

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