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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Augen, sondern mit der Seele. Mit Leib und Seele. Und jetzt, Ulrike, komme ich zurück, jetzt mache ich ein Geständnis: Was habe ich nicht alles in die Welt gesetzt über die Gründe des Schreibens. Ganze Schulen suchen ihr Heil in meinen Geständnissen, die besagen, dass man schreibend mit allem fertig wird, was einen, schriebe man nicht, umbringen könnte. Von Werther an. Und jetzt, liebe Ulrike! Ich habe die Elegie geschrieben. Zum ersten Mal hilft es nicht, geschrieben zu haben. Nur Schreiben hilft. Aber was wäre ich ohne die Elegie! Sie buchstabiert meine Sehnsucht. Sie ist stolz. Stolz auf sich. Ich möchte diesen Stolz von ihr lernen. Ich möchte sein wie die Elegie. So gefasst. Es ist Ihre Elegie. Unsere Elegie. Bevor Sie sie nicht zu lesen bekommen, bekommt sie niemand zu lesen. Es gibt sie nicht, die Elegie. Wie es Sie nicht gibt. Also mich nicht gibt. Hören Sie, wie man mit der Seele wie mit den Zähnen knirschen kann. Jetzt setz ich sie her, die Elegie, und dieser Brief geht hinaus! Und wenn Stadelmann ihn bis nach Kahla und Pößneck transportieren muss. Hier ist sie, Ulrike. Die Marienbader Elegie.
    Was soll ich nun vom Wiedersehen hoffen,
    Von dieses Tages noch geschloß’ner Blüthe?
    Das Paradies, die Hölle steht dir offen;
    Wie wankelsinnig regt sich’s im Gemüthe!–
    Kein Zweifeln mehr! Sie tritt an’s Himmelsthor,
    Zu ihren Armen hebt sie dich empor.
     
    So warst du denn im Paradies empfangen,
    Als wärst du werth des ewig schönen Lebens;
    Dir blieb kein Wunsch, kein Hoffen, kein Verlangen,
    Hier war das Ziel des innigsten Bestrebens,
    Und in dem Anschaun dieses einzig Schönen
    Versiegte gleich der Quell sehnsüchtiger Thränen.
     
    Wie regte nicht der Tag die raschen Flügel,
    Schien die Minuten vor sich her zu treiben!
    Der Abendkuß, ein treu verbindlich Siegel:
    So wird es auch der nächsten Sonne bleiben.
    Die Stunden glichen sich in zartem Wandern
    Wie Schwestern zwar, doch keine ganz den andern.
     
    Der Kuß der letzte, grausam süß, zerschneidend
    Ein herrliches Geflecht verschlungner Minnen.
    Nun eilt, nun stockt der Fuß die Schwelle meidend,
    Als trieb’ ein Cherub flammend ihn von hinnen;
    Das Auge starrt auf düstrem Pfad verdrossen,
    Es blickt zurück, die Pforte steht verschlossen.
     
    Und nun verschlossen in sich selbst, als hätte
    Dieß Herz sich nie geöffnet, selige Stunden,
    Mit jedem Stern des Himmels um die Wette,
    An ihrer Seite leuchtend nicht empfunden;
    Und Mißmuth, Reue, Vorwurf, Sorgenschwere
    Belasten’s nun in schwüler Atmosphäre.
     
    Ist denn die Welt nicht übrig? Felsenwände
    Sind sie nicht mehr gekrönt von heiligen Schatten?
    Die Ernte reift sie nicht? Ein grün Gelände
    Zieht sich’s nicht hin am Fluß durch Busch und Matten?
    Und wölbt sich nicht das überweltlich Große,
    Gestaltenreiche, bald gestaltenlose?
     
    Wie leicht und zierlich, klar und zart gewoben,
    Schwebt, Seraph gleich, aus ernster Wolken Chor,
    Als glich’ es ihr, am blauen Äther droben,
    Ein schlank Gebild aus lichtem Duft empor;
    So sahst du sie in frohem Tanze walten
    Die lieblichste der lieblichsten Gestalten.
     
    Doch nur Momente darfst dich unterwinden
    Ein Luftgebild statt ihrer fest zu halten;
    In’s Herz zurück, dort wirst du’s besser finden,
    Dort regt sie sich in wechselnden Gestalten;
    Zu vielen bildet Eine sich hinüber,
    So tausendfach, und immer immer lieber.
     
    Wie zum Empfang sie an den Pforten weilte
    Und mich von dannauf stufenweis beglückte;
    Selbst nach dem letzten Kuß mich noch ereilte,
    Den letztesten mir auf die Lippen drückte:
    So klar beweglich bleibt das Bild der Lieben,
    Mit Flammenschrift, in’s treue Herz geschrieben.
     
    In’s Herz, das fest wie zinnenhohe Mauer
    Sich ihr bewahrt und sie in sich bewahret,
    Für sie sich freut an seiner eignen Dauer,
    Nur weiß von sich, wenn sie sich offenbaret,
    Sich freier fühlt in so geliebten Schranken
    Und nur noch schlägt, für alles ihr zu danken.
     
    War Fähigkeit zu lieben, war Bedürfen
    Von Gegenliebe weggelöscht, verschwunden;
    Ist Hoffnungslust zu freudigen Entwürfen,
    Entschlüssen, rascher That sogleich gefunden!
    Wenn Liebe je den Liebenden begeistet,
    Ward es an mir auf’s lieblichste geleistet;
     
    Und zwar durch sie! – Wie lag ein innres Bangen
    Auf Geist und Körper, unwillkommner Schwere:
    Von Schauerbildern rings der Blick umfangen
    Im wüsten Raum beklommner Herzensleere;
    Nun dämmert Hoffnung von bekannter Schwelle,
    Sie selbst erscheint in milder

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