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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Schwelle, dunkel eingelassen ins helle Holz, SALVE. Ich sage Ihnen das jetzt schon, weil ich weiß, Sie schauen nie vor sich hin, nie auf den Boden, sondern immer hinauf, dahin, wo Ihre Ziele sind. Dann träten Sie ein, würden sich wundern, würden wahrscheinlich Ihren zu allem fähigen, überlebendigen Mund verziehen, wenn Sie den viel zu großen Junokopf sähen und dann auch noch all die anderen Büsten, Ihren Schiller, Herder, Winckelmann, aber dass ein Zimmer, das schönste, blau ist, lavendelblau, das würde Sie mit der Künstlichkeit dieser Wohnstatt vielleicht versöhnen, und das zweitschönste, liebe Ulrike, ist gelb, wie die Arnika gelb ist.
    Also vorgestern Abend. Der Hausherr empfiehlt sich leise. Da konnten sie wieder tuscheln: Marienbad, der Alte Werther   … Pfui Teufel! Und jetzt sage ich dem Hausherrn: Das darf nicht mehr passieren. Der soll sich das aufschreiben. Er wird, das verspricht er Ihnen, Listen anlegen. Liste Nr.   1: Regeln zur Vermeidung jeder Vermutbarkeit.
    1.   Keine Absage auf Raten. Jede Musik mitmachen. Ottilie und August wollten ihn natürlich in der Balkonloge der Öffentlichkeit präsentieren. Schaut her! Er ist wieder da! Wir haben ihn eingefangen! Er hätte erscheinen sollen. Nach links und rechts ausstrahlen die Stimmung: Es ist geschafft. Sogar Musik, die Umwerferin schlechthin, kann dir nichts mehr anhaben.
    2.   Jede Runde, die einem jungen Mann ergeben ist, in der Ergebenheit übertreffen. Den jungen Mann in Komplimentenertränken. Die Führung übernehmen im Komplimente-Machen. Dass dir zu gar allem, was der sagen kann, immer noch Brillanteres einfällt als deinen Seidenhäschen, Kanzler von Müller, Professor Riemer, Baudirektor Coudray und Konsorten, das ist sicher. Dass die drüben sich dann lustig machten über ihn, störte nicht. Der Liebende ist unverwundbar. Außer von der, die er liebt. Er lebt unter einem anderen Himmel. Anwesend nur zum Schein. Wenn die über das Wetter und über Kant reden, herrscht in ihm das heilige Durcheinander der Liebe.
    Der junge Nicolovius. Die Spur zu de Ror. Ich glaubte also, ich würde mich wohler fühlen, wenn ich die Notwendigkeit der Gedankenverläufe, die nicht zu vermeiden waren, anerkannte. Ich musste den Vornamenlosen taufen. Ich taufte ihn Velozifer. Liebe Ulrike, Sie haben mir den Vornamen des Vornamenlosen verschwiegen. Der hat Sie ins Vertrauen gezogen. Sie haben sich ziehen lassen. Sie sind jetzt drin. Exzellenz kann schauen, wo sie bleibt. Velozifer eilt also nach Paris, um der französischen Königin einen Diamanten zu
schenken
, den hochkarätigsten Diamanten, den es zur Zeit gibt auf der Welt. Ihre Mutter hat mir ein paar Tage später – Sie waren gerade mit den Schwestern Blumen pflücken gegangen – über den Vornamenlosen erzählt, was sie vom Grafen Klebelsberg erfahren hatte. Das Wort verkaufen gebe es nicht bei ihm. Weil jedes Stück so viel mehr wert sei, als er dafür wolle, nenne er jeden Verkauf mit Recht ein Geschenk.
    Sehen Sie seine Augen noch vor sich? Ich schon. Ich sehe nichts so deutlich wie seine Augen. Fast schwarze Pupillen, aber hellgrau umrandet. Das kenne ich sonst nurbei Vögeln. Und Vögel, so viel Liebes und Schönes man ihnen nachsagen kann, der Blick der Vögel gilt als kalt und stechend. Jetzt rede ich von ihm schon, wie die Leute von Napoleon reden. Ich hätte, um die Vögel zu schonen, sagen müssen: Diese Umringung kennt man sonst nur von Saturn. Und das ist der Planet der Drohungen. Einssiebenundachtzig groß sei er, sagte Ihre Mutter, ohne dass ich nach seiner Größe gefragt hätte. Und dass er praktisch ununterbrochen unterwegs sei zwischen Paris und Wien. Also dass er da in Straßburg Station machen muss und das französische Internat zu finden wissen wird, ist doch keine krankhafte Einbildung meinerseits. Seine napoleonisch kurzgeschnittenen, sehr dicht und dunkel sitzenden Haare machen ihn zu einer militärisch schönen Erscheinung. Wäre da nicht sein violetter Frack   …
    Ach, ich lass es, liebe Ulrike. Er hat sich an Ihnen entzündet, er ist im hohen Grad veloziferisch, ich hätte, müsste ich gegen ihn konkurrieren, nicht die geringste Aussicht zu bestehen. Ich dürfte es nicht einmal wünschen. Ihretwegen. Er hat nicht nur Zukunft, er ist die Zukunft. Dieser meiner Aussichtslosigkeit entziehe ich mich durch einen grausamen Wunsch: Könnte man doch die Seele blenden, wie man die Augen blenden kann. Dass Sie gar nicht mehr denken könnten an ihn. Wenn Sie mir

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