Ein liebender Mann
demnächst doch antworten – von dieser Einbildung kann ich nicht lassen –, sagen Sie doch noch einen Satz zu dem letzten Satz, den er, als er sich so anmaßend und besitzergreifend von Ihnen verabschiedete, gesagt hat. Sie haben ihn in Marienbad bei mir in der Goldenen Traube ganz fröhlich, irgendwie nichts ernst nehmend, zitiert. Il y a quelque chose dans l’air. Hater gesagt: Je sais qu’il y a … oder je pense qu’il y a … oder je sens qu’il y a …? Und er hat, wenn ich mich an Ihre Mitteilung recht erinnere, auf jeden Fall dazugesagt: Entre nous il y a … Oder am Schluss: Il y a quelque chose dans l’air entre nous? Oder war die Formulierung als ganze so: Je sens, qu’entre nous il y a quelque chose dans l’air? Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie sich die Mühe machten, mir den Abschiedssatz korrekt mitzuteilen. Ich finde, davon hängt ab, womit Sie, womit wir zu rechnen haben. Wenn ich von Ihnen erfahre, dass Sie die Elegie lesen konnten, werde ich Ihnen, was ich in dieser Nacht habe schreiben müssen, schicken. Ich kann so negativ nicht bleiben. Unser Diktierspiel, mir das liebste, soll mir jetzt helfen.
An die postrevolutionäre Internatsdame.
Und so bliebe mir zuletzt eine geziemende treue Bitte noch übrig: Möchten Höchst Dieselben mich mit fortdauernder Huld und Gnade beglücken, in dem Kreis liebster Angehöriger meiner wohlwollendst gedenken und mir bei nächster Zukunft Vergünstigung und Gelegenheit zu mannigfaltiger Mitteilung gnädigst gewähren.
PS: Ich bin ein Pedant, ich weiß. Aber ich käme mir nachlässig vor, wenn ich Ihnen nicht mitteilte, was mir, wenn ich an unseren Nicht-mehr-Vornamenlosen denke, in den Sinn kommt. Heuer im Juni, gar nicht so lange vor der Abreise ins selige Böhmen, ließ mich der Gnädige Herr rufen, Diamanten sollte ich, der Stein-Experte, anschauen. Monsieur Soret, Prinzen-Erzieher am Hof, Naturwissenschaftler, mir durch Anti-Newton-Überzeugungen vielfach verbunden, hatte aus seiner Vaterstadt Genf einen Chemiker, Physiker, Techniker geladen, der vor uns, dem Herzog, mir, Kanzlervon Müller und Baudirektor Coudray, ein Behältnis aus Mahagoni aufschlug, dann lagen vor uns aufgereiht in dunklem Samt die herrlichsten Diamanten in jeder Größe und Form. Wir sollten prüfen und wählen, kaufen würde, wenn wir dazu rieten, unser Allergnädigster Herr. Der eher zurückhaltende Genfer ließ uns Zeit. Jeder von uns riet zu zwei oder drei Stücken, die ihn anzogen. Dann der Genfer: Keiner dieser Diamanten sei echt. Alle produziert von ihm selbst. Und wies uns noch hin auf Unreinheiten, die zu beheben er inzwischen imstande sei. Da die Steine nicht die Hälfte dessen kosteten, was sie, wären sie echt, gekostet hätten, kaufte der Gnädige Herr die ganze Lade. Der Genfer versprach, mit noch besser fabrizierten Stücken bald wieder zu kommen. Muss ich das nicht mitteilen? Es könnte doch die rasante Zukunft unseres Diamanten-Verschenkers touchieren? Auf jeden Fall: mitgeteilt wird es nicht um seinetwillen, sondern um Ihretwillen. Gute Nacht.
Vielleicht werde ich Ihnen diese Briefe NICHT schicken, was im Augenblick unvorstellbar ist – schicken könnte ich sie Ihnen ohnehin nur, solange Sie in Straßburg sind –, ich lebe davon, dass ich weiß, Sie werden lesen, was ich Ihnen schreibe, wenn Sie’s aber, um auch das Unmöglichste zu denken, nicht lesen werden oder erst nach meinem Tod, und wenn Sie dann, weil mein Lebenswandel hier von einigen beobachtet und vielleicht mitgeteilt wird, lesen, was ich an dem Tag und Abend, an dem ich Ihnen einen Brief geschrieben habe, der aus nichts besteht als aus Einsamkeit oder, wenn Sie’s dem Gefühl nach wollen, aus Verlassenheit, dann, bitte, glauben Sie nicht, was Sie
über
mich lesen,sondern meinem Brief. Noch einmal, gute Nacht. Übrigens: Gestern, auf festlichstem Papier: mein Freund Knebel, fünf Jahre älter als ich, heiratet, heiratet wieder, heiratet eine dreiundvierzig Jahre Jüngere, ich gratuliere natürlich, und wie, ich schäume vor Gratulationswut und Neid.
Weimar, 16. Oktober 1823
Liebe Ulrike,
immer kehren die Augenblicke zurück, in denen ich nicht gut genug war. Ich halte es für ein Glück, dass ich, was ich versäumte, noch nachbessern kann. Erinnern Sie sich: Schön sehen Sie aus. Haben Sie gesagt. Ich stutzte. Und Sie: Heute! Das war also ein Scherz. Mit HEUTE wollten sie gesagt haben: Jetzt tun Sie doch nicht so komisch überrascht, als wüssten Sie
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