Ein Lied für meine Tochter
Pepperoni-Pizza und einen ganzen Laib Brot gegessen.
Sie erzählt mir, dass sie früher immer Albträume gehabt hat, allein auf dem Boden ihres Wohnzimmers zu sterben und erst Wochen später vom Nachbarn gefunden zu werden.
Sie erzählt mir von ihrem ersten Haustier, einem Hamster, der mitten in der Nacht aus seinem Käfig geflohen und in den Heizungsschacht gekrabbelt ist. Man hat ihn nie wieder gesehen.
Manchmal liegt mein Kopf auf ihrer Schulter, wenn wir reden. Manchmal schlingt sie die Arme um mich. Und manchmal sitzen wir auf der Couch einander gegenüber, mit verknoteten Beinen. Als Vanessa mir einen Prospekt des Highlands Inn gab, habe ich zunächst abgelehnt. »Müssen wir uns wirklich mit anderen lesbischen Paaren in Quarantäne begeben und verstecken?«, habe ich sie gefragt. Warum konnten wir nicht einfach nach New York oder Paris fahren, wie andere Frischvermählte auch?
»Nun«, hat Vanessa geantwortet, »natürlich könnten wir das. Aber da wären wir dann nicht mehr wie andere Frischvermählte.«
Und so sind wir jetzt hier. Hier, wo niemand auch nur mit der Wimper zuckt, wenn wir Händchen halten oder uns gemeinsam ein Doppelzimmer nehmen. Wir machen ein paar Ausflüge – zum Mount Washington Hotel zum Abendessen und in ein Kino –, und jedes Mal, wenn wir das Gelände des Inns verlassen, halten wir instinktiv einen Fuß Abstand zueinander. Doch sobald wir wieder heimkommen, ist es, als wären wir an der Hüfte zusammengeleimt.
»Das ist wie in einer Schule, die nach Neigung und Begabung differenziert«, sagt Vanessa, als wir eines Tages im Speisesaal des Inns beim Frühstück sitzen und einem Eichhörnchen dabei zuschauen, wie es über eine vereiste Steinmauer hüpft. »Ich bin fast vom College geflogen, als ich mich in einer Hausarbeit dafür ausgesprochen habe, Schüler ihren Fähigkeiten entsprechend zu unterrichten. Aber weißt du was? Frag mal ein Kind, das Mühe mit Mathe hat, wie es ihm in einer gemischten Klasse gefällt, und es wird dir sagen, dass es sich wie ein Idiot vorkommt. Dann frag mal ein Mathegenie, was er davon hält, in einer gemischten Klasse zu sein, und er wird dir erklären, dass er es leid ist, bei Gruppenprojekten die ganze Arbeit zu machen. Es heißt nicht umsonst: Gleich und Gleich gesellt sich gern.«
Ich schaue sie an. »Pass auf, was du sagst, Vanessa. Wenn die Leute von GLAD dich jetzt hören könnten, würden sie dir deinen Regenbogen-Status aberkennen.« GLAD ist die größte Organisation für die Rechte Homosexueller in den USA.
Vanessa lacht. »Ich will ja keine Ghettos für Homosexuelle. Es ist nur … Na ja, du weißt schon … Du bist ja als Katholikin aufgewachsen, und es ist doch nett, wenn man mal einen Witz über den Papst oder den Kreuzweg machen kann, ohne direkt verständnislos angeschaut zu werden. Es ist einfach nett, bei seinen eigenen Leuten zu sein.«
»Ich muss dir was gestehen«, sage ich. »Ich habe keine Ahnung vom Kreuzweg.«
»Ich will meinen Ring wieder zurück«, scherzt Vanessa.
Wir werden vom Schreien eines Kleinkindes unterbrochen, das in den Saal stürmt und dabei fast eine Kellnerin über den Haufen rennt. Seine Mütter sind ihm dicht auf den Fersen. »Travis!« Der Junge kichert, schaut über die Schulter und duckt sich unter unseren Tisch.
»Bitte, entschuldigen Sie«, sagt eine der Frauen, fischt den Jungen wieder heraus, küsst ihn auf den Bauch und wirft ihn sich über die Schulter.
Ihre Partnerin schaut uns an und grinst. »Wir haben bei ihm den Aus-Schalter noch nicht gefunden.«
Als die kleine Familie uns in Richtung Rezeption verlässt, schaue ich dem kleinen Travis hinterher und stelle mir vor, wie mein eigener Sohn wohl in dem Alter ausgesehen hätte. Hätte er nach Kakao und Pfefferminz gerochen? Hätte sein Lachen wie ein kristallklarer Wasserfall geklungen? Und hätte er sich wohl vor den Monstern unterm Bett gefürchtet, sodass ich ihn abends in den Schlaf hätte singen müssen?
»Vielleicht«, sagt Vanessa, »sind wir eines Tages genauso.«
Ich fühle es sofort: diese erdrückende Last des vollkommenen Versagens. »Du hast mir doch erzählt, das sei dir egal, dass du deine Schüler hättest.« Die Worte drohen, mir im Hals stecken zu bleiben. »Du weißt doch, dass ich keine Kinder bekommen kann.«
»Es war mir egal, weil ich nie eine alleinerziehende Mutter sein wollte. Davon hatte ich schon als Kind genug. Und natürlich weiß ich, dass du keine Kinder bekommen kannst.« Vanessa nimmt meine Hand.
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