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Ein Lied für meine Tochter

Ein Lied für meine Tochter

Titel: Ein Lied für meine Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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improvisiertes Wiegenlied vor mich hin. Heute ist nicht der Tag, Mr. Docker zur Kommunikation zu zwingen. Heute dient die Musiktherapie nur dazu, ihn sanft an einen Punkt zu führen, wo er friedlich die Augen schließen und uns alle hinter sich lassen kann.
    Während ich für Mr. Docker spiele, steigen mir die Tränen in die Augen. Der alte Mann war ein übellauniger, verbitterter Bastard, aber es ist der Dorn im Fleisch, der die größten Lücken hinterlässt. Ich stelle meine Gitarre beiseite und greife nach seiner Hand. Sie fühlt sich wie ein Reisigbündel an. Seine rheumatisch-blauen Augen starren leer auf den schwarzen Fernsehbildschirm.
    »Ich habe geheiratet«, erzähle ich ihm, obwohl ich sicher bin, dass er mir nicht zuhört.
    Mr. Docker zuckt noch nicht einmal.
    »Das ist schon komisch, nicht wahr? Wir landen immer wieder an Orten, die wir uns nicht haben vorstellen können. Ich wette, als Sie noch in Ihrem riesigen Eckbüro saßen, haben Sie nie damit gerechnet, eines Tages hier zu landen, in einem kleinen Zimmer über dem Parkplatz. Ich wette, als alle noch nach Ihrer Pfeife tanzen mussten, hätten Sie nie gedacht, dass eines Tages niemand mehr da sein würde, der Ihnen zuhört. Nun, ich weiß, wie das ist, Mr. Docker.« Ich schaue zu ihm hinunter, doch er starrt weiter ins Nichts. »Sie haben sich einmal verliebt. Das weiß ich, denn Sie haben eine Tochter. Also wissen Sie auch, was ich damit meine, wenn ich sage, dass man keine Wahl mehr hat, wenn man sich verliebt. Man wird von diesem Menschen magisch angezogen, egal ob das nun gut für einen ist oder nicht.«
    Als ich noch mit Max verheiratet war, habe ich eine Rettungsleine mit Liebe verwechselt. Ich war diejenige, die ihn retten konnte. Ich war diejenige, die dafür sorgte, dass er nüchtern blieb. Das ist ja auch schön und gut, aber jemanden zu finden, der einen zu einem ganzen Menschen macht, ist etwas vollkommen anderes.
    Ich sage es nicht laut, aber ich weiß, dass Vanessa mich nie verletzen wird, und zwar aus folgendem Grund: Sie sorgt sich mehr um mich als um sich selbst. Sie würde sich eher selbst das Herz brechen, als zuzulassen, dass meines auch nur einen Riss bekommt.
    Als ich wieder nach unten schaue, sieht Mr. Docker mich an. »Wir werden ein Baby haben«, erzähle ich ihm.
    Das Lächeln hat seinen Ursprung tief in mir, ein winziger Funke, der das Feuer der Möglichkeiten entfacht.
    Dass ich es ausgesprochen habe, macht es plötzlich real.
    Vanessa und ich stehen am Empfang der Kinderwunschklinik. »Baxter«, sage ich. »Wir haben einen Termin, um die Einpflanzung eines eingefrorenen Embryos zu besprechen.«
    Die Krankenschwester findet meinen Namen im Computer. »Ah, da haben wir Sie ja. Haben Sie Ihren Mann dabei?«
    Ich spüre, wie mir das Blut in die Wangen steigt. »Ich bin neu verheiratet. Als ich angerufen habe, haben Sie mir nur gesagt, ich solle meinen Partner mitbringen.«
    Die Krankenschwester schaut von mir zu Vanessa. Falls sie überrascht sein sollte, so lässt sie sich das nicht anmerken. »Bitte, warten Sie hier«, sagt sie.
    Vanessa dreht sich zu mir um, kaum dass die Frau den Schreibtisch verlassen hat. »Was ist das Problem?«
    »Ich weiß es nicht. Ich hoffe, mit den Embryonen ist alles in Ordnung …«
    »Hast du diesen Artikel über die Familie gelesen, der man die falschen Embryonen gegeben hat?«, fragt Vanessa.
    Ich schaue sie scharf an. »Das ist jetzt nicht gerade hilfreich.«
    »Zoe?« Beim Klang meines Namens drehe ich mich um und sehe Dr. Anne Fourchette, die Chefärztin, auf mich zukommen. »Warum kommen Sie beide nicht in mein Büro?«
    Wir folgen ihr den Flur hinunter in ein mit Holz verkleidetes, elegantes Büro, in dem ich sicher schon mal gewesen bin, nur kann ich mich nicht daran erinnern. Die meiste Zeit habe ich mich hier in den Behandlungszimmern aufgehalten. »Gibt es ein Problem, Dr. Fourchette? Haben Sie die Embryonen verloren?«
    Mit ihrem vorzeitig ergrauten Haar, dem übertrieben festen Händedruck und der gedehnten Sprechweise ist Dr. Fourchette eine markante Erscheinung. »Ich fürchte, es hat da ein Missverständnis gegeben«, sagt sie. »Ihr geschiedener Mann muss die Papiere zur Freigabe der Embryonen unterzeichnen. Sobald das erledigt ist, können wir einen Behandlungstermin vereinbaren.«
    »Aber Max will sie nicht. Er hat sich doch von mir scheiden lassen, weil er kein Vater sein will.«
    »Dann dürfte das ja kein Problem für ihn sein«, erwidert Dr. Fourchette und

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