Ein Lied für meine Tochter
uns nicht zu streiten, und bleiben wir bei Themen wie dem Wetter.«
»Wer möchte Nachtisch?« Die Schwingtür zur Küche öffnete sich, und Liddy brachte einen selbst gebackenen Kuchen herein. In Zuckerguss hatte sie darauf geschrieben: HAPPY BIRTHDAY JESUS.
»Mein Gott«, murmelte Zoe.
Liddy lächelte. »Meiner auch!«
»Ich gebe auf.« Zoe schob ihren Stuhl zurück. »Liddy, Reid, danke für das wunderbare Essen. Ich hoffe, du hast ein schönes Weihnachtsfest, Max. Du musst nicht gehen, wenn du nicht willst. Ich sehe dich dann zu Hause.« Sie lächelte höflich und ging in den Flur, um sich Mantel und Stiefel zu holen.
»Willst du jetzt etwa einfach gehen?«, rief ich ihr hinterher. Rasch entschuldigte ich mich bei meinem Bruder, dankte ihm und küsste Liddy zum Abschied auf die Wange.
Als ich draußen ankam, stapfte Zoe bereits die Straße hinunter. Der Schnee war noch nicht geräumt und reichte ihr bis zu den Knien. Mein Truck pflügte mit Leichtigkeit durch ihn hindurch, und schließlich hielt ich neben ihr. Ich beugte mich zur Seite und öffnete die Beifahrertür. »Steig ein«, schnappte ich.
Zoe dachte kurz nach, stieg dann aber doch in die Fahrerkabine.
Wir fuhren einige Meilen und die ganze Zeit über sagte ich kein Wort zu ihr. Ich konnte nicht. Ich hatte Angst zu explodieren. Dann, als wir den Highway erreichten, wo bereits geräumt worden war, drehte ich mich zu Zoe um. »Hast du je darüber nachgedacht, wie demütigend das für mich war? Ist es wirklich zu viel verlangt, ein Abendessen mit meinem Bruder und seiner Frau durchzustehen, ohne die sarkastische Hexe zu geben?«
»Oh, das ist wirklich nett, Max. Jetzt bin ich also eine Hexe, und das nur, weil ich mir keine rechte, christliche Gehirnwäsche verpassen lassen will.«
»Das war ein verdammtes Familienessen, Zoe. Kein Diskussionsforum!«
Sie drehte sich zu mir um, und der Sicherheitsgurt spannte an ihrem Hals. »Tut mir leid, dass ich nicht wie Liddy bin«, sagte sie. »Vielleicht steckt mir der Weihnachtsmann heute Nacht ja einen Gutschein für eine Lobotomie in den Strumpf. Das würde helfen.«
»Warum hältst du nicht einfach mal den Mund? Was hat sie dir denn getan?«
»Nichts. Sie hat nämlich gar keinen eigenen Willen«, antwortete Zoe.
Ich hatte schon häufig mit Liddy darüber diskutiert, ob Leute wie Jack Nicholson und Jonathan Demme ihren Erfolg B-Movies zu verdanken hätten und was für einen Einfluss Psycho auf die Filmzensur hatte. »Du weißt doch gar nichts über sie«, argumentierte ich. »Sie ist eine … eine …«
Ich bog in unsere Einfahrt ein und verstummte.
Zoe sprang aus dem Truck. Inzwischen schneite es so heftig, dass sich hinter ihr sofort ein weißer Vorhang bildete. »Eine Heilige?«, vervollständigte sie meinen Satz. »Ist das das Wort, nach dem du suchst? Nun, ich bin das nicht. Ich bin nur eine Frau aus Fleisch und Blut, und offenbar bin ich sogar darin mies.«
Sie schlug die Beifahrertür zu und stapfte zum Haus. Wütend rammte ich den Rückwärtsgang rein und schlitterte auf die Straße zurück.
Aufgrund der Tatsache, dass wir nicht nur einen Schneesturm, sondern auch Weihnachten hatten, war ich der Einzige auf der Straße. Kein Geschäft hatte geöffnet, noch nicht einmal McDonald’s. So konnte ich mir leicht vorstellen, der letzte Mensch in diesem Universum zu sein, denn so fühlte sich das verdammt noch mal auch an.
Andere Männer waren gerade damit beschäftigt, Fahrräder zusammenzubauen oder Puppenhäuser, damit ihre Kinder, wenn sie aufwachten, die Überraschung ihres Lebens erwartete, doch ich konnte noch nicht einmal ein Kind zeugen.
Ich fuhr auf den leeren Parkplatz eines Einkaufszentrums und beobachtete einen Schneepflug, der an mir vorbeifuhr. Dann erinnerte ich mich daran, wie es war, als Liddy zum ersten Mal Schnee gesehen hatte.
Ich griff nach meinem Handy und wählte die Nummer meines Bruders, denn ich wusste, dass sie abnehmen würde. Ich wollte sie einfach nur ›Hallo‹ sagen hören und dann auflegen.
»Max?«, sagte sie, und ich verzog das Gesicht. Ich hatte vergessen, die Rufnummernunterdrückung einzuschalten.
»Hey«, sagte ich.
»Alles okay bei euch?«
Es war zehn Uhr abends, und wir waren mitten in einem Sturm aufgebrochen. Natürlich hatte sie da Panik.
»Es gibt da etwas, das ich dich fragen muss«, sagte ich.
Weißt du eigentlich, dass jedes Mal die Sonne aufgeht, wenn du den Raum betrittst?
Denkst du manchmal an mich?
Dann hörte ich Reids Stimme im
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