Ein Lied für meine Tochter
Hintergrund. »Komm wieder ins Bett, Liebling. Wer ruft eigentlich so spät an?«
»Das ist nur Max«, antwortete Liddy.
Nur Max.
»Und was wolltest du mich fragen?«, wandte Liddy sich wieder an mich.
Ich schloss die Augen. »Habe ich … Habe ich meinen Schal bei euch gelassen?«
Sie rief nach Reid: »Liebling? Hast du Max’ Schal gesehen?« Es folgte ein kurzes Gespräch, das ich nicht verstehen konnte. »Tut mir leid, Max, wir haben ihn nicht gefunden. Aber wir werden weitersuchen.«
Eine halbe Stunde später schloss ich die Tür zu meiner Wohnung auf. Das Licht über dem Herd brannte immer noch, und der kleine Baum, den Zoe gekauft und geschmückt hatte, funkelte in einer Ecke des Wohnzimmers. Sie hatte auf einen lebenden Baum bestanden, auch wenn ich ihn zwei Stockwerke hatte raufschleppen müssen. Dieses Jahr hatte sie ihn mit weißen Seidenschleifen geschmückt, und jede dieser Schleifen repräsentiere einen Wunsch fürs nächste Jahr, hatte sie gesagt.
Der einzige Unterschied zwischen einem Wunsch und einem Gebet besteht darin, dass man bei einem Wunsch der Gnade des Universums ausgeliefert ist und beim Gebet Hilfe bekommt.
Zoe hatte sich auf der Couch zusammengerollt und war eingeschlafen. Sie trug einen mit Schneeflocken bedruckten Pyjama, und sie sah aus, als hätte sie geweint.
Ich küsste sie, um sie zu wecken. Tut mir leid , murmelte sie an meinen Lippen. Ich hätte nicht …
»Ich auch nicht«, erwiderte ich.
Ich küsste sie weiter und ließ meine Hand unter ihr Pyjamahemd gleiten. Ihre Haut war so heiß, dass sie mir an den Fingern brannte. Sie krallte sich in mein Haar und schlang die Beine um mich. Ich sank auf den Boden und zog sie mit mir herunter. Ich kannte jede Narbe an ihrem Körper, jede Sommersprosse und jede Kurve. Sie waren für mich wie Wegweiser auf einer Straße, über die ich auf ewig reisen konnte.
Ich erinnere mich daran, gedacht zu haben, dass unser Sex in jener Nacht so intensiv gewesen sein musste, dass er eigentlich einen bleibenden Eindruck hätte hinterlassen müssen … wie ein Baby zum Beispiel … nur war das nicht der Fall gewesen.
Ich erinnere mich daran, dass meine Träume damals voller Wünsche gewesen waren, doch nach dem Aufwachen habe ich mich nie an einen erinnert.
Als Liddy dort ankommt, wo sie hinwill, ist mein Rausch verflogen, und ich bin ziemlich wütend auf mich selbst und auf die ganze Welt. Wenn Reid erfährt, dass ein Cop mich angehalten hat, weil ich im besoffenen Kopf Schlangenlinie gefahren bin, dann wird er das Pastor Clive erzählen, und der wiederum wird es zu Wade Preston weitertragen, der mir einen Vortrag darüber halten wird, wie leicht man so einen Prozess verlieren kann. Dabei wollte ich doch nur meinen Durst vertreiben, ich schwöre.
Während der Fahrt habe ich die Augen geschlossen, denn ich bin plötzlich derart müde, dass ich kaum noch aufrecht sitzen kann. Liddy zieht die Handbremse an. »Wir sind da«, sagt sie.
Wir stehen auf dem Parkplatz vor dem Geschäftsgebäude, in dem auch die Büros der Eternal Glory Church untergebracht sind.
Die Bürozeiten sind vorbei, und ich weiß, dass Pastor Clive nicht mehr da ist, aber das ändert nichts an meinem schlechten Gewissen. Der Alkohol hat schon mein eigenes Leben ruiniert, und jetzt steht er kurz davor, auch die Leben anderer Menschen zu ruinieren. »Liddy, das wird nie wieder passieren …«, verspreche ich.
»Max.« Sie wirft mir die Schlüssel zum Gemeindebüro zu. Die hat sie, weil sie die Sonntagsschule leitet. »Halt den Mund.«
Pastor Clive hat sich neben seinem Büro eine kleine Kapelle einrichten lassen, nur für den Fall, dass jemand hier außerhalb des sonntäglichen Gottesdienstes in der Schulaura beten will. Dort stehen ein paar Stuhlreihen und ein Stehpult, und an der Wand hängt ein Bild der Kreuzigung. Ich folge Liddy am Tisch der Sekretärin vorbei in die Kapelle. Anstatt das Licht anzuschalten, zündet sie ein Streichholz an und hält es an eine Kerze auf dem Pult. In den flackernden Schatten sieht Jesu Gesicht aus wie das von Freddy Krueger.
Ich setze mich neben Liddy und warte darauf, dass sie laut betet. Denn so machen wir das in der Eternal Glory Church. Pastor Clive führt ein Gespräch mit Jesus, und wir hören alle zu.
Heute jedoch faltet Liddy schlicht die Hände im Schoß, als warte sie darauf, dass ich vorbete.
»Willst du nichts sagen?«, frage ich.
Liddy schaut zu dem Christusbild hinter dem Pult. »Weißt du, was meine
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