Ein Lied für meine Tochter
wünschte, ich hätte sein Haus. Sein Bankkonto. Sogar seinen Glauben, nehme ich an.«
Ich fühlte mich wie Scheiße, das laut auszusprechen. Mein Bruder hatte mir stets geholfen, und nun saß ich hier und neidete ihm alles, was er besaß. Ich fühlte mich hässlich, wie eine lebende Eiterbeule.
Und Gott, ich wollte doch nur wieder gesund werden.
Vielleicht habe ich dann geweint, ich erinnere mich nicht mehr. Aber ich weiß noch, dass ich mich damals das erste Mal als der Mensch sah, der ich war, als jemanden, der viel zu stolz war, um sich seine Fehler einzugestehen.
Eines ließ ich auf der Liste jedoch aus, als ich damals mit Pastor Clive sprach. Ich habe nie gesagt, dass ich auch Reids Frau wollte.
Das hielt ich geheim.
Mit Absicht.
Auf dem Weg nach Hause entschuldige ich mich mindestens noch fünfzig Mal bei Liddy, aber sie bleibt cool und schmallippig. »Es tut mir leid«, sage ich erneut, als sie in die Einfahrt fährt.
»Was denn?«, erwidert sie. »Es ist doch nichts passiert.«
Sie öffnet die Haustür und legt sich meinen Arm um den Hals, sodass es so aussieht, als würde sie mich stützen. »Mach einfach mit«, fordert sie mich auf.
Ich bin noch immer ein wenig unsicher auf den Beinen, also lasse ich mich von ihr hineinschleppen. Reid steht im Flur. »Gott sei Dank. Wo hast du ihn gefunden?«
»Er hat sich am Straßenrand erbrochen«, antwortet Liddy. »Laut Notarzt hat er eine üble Lebensmittelvergiftung.«
»Mann, kleiner Bruder, was hast du denn gegessen?«, fragt Reid und legt ebenfalls den Arm um mich, um seiner Frau die Last abzunehmen. Ich tue so, als würde ich stolpern, und lasse mich von ihm runter in den Keller und ins Gästezimmer schleppen. Nachdem Reid mich aufs Bett gelegt hat, zieht Liddy mir die Schuhe aus. Ihre Hände fühlen sich warm an meinen Knöcheln an.
Selbst im Dunkeln dreht die Decke sich vor meinen Augen … oder vielleicht ist das auch nur der Ventilator. »Der Arzt sagt, er muss sich einfach ausschlafen«, erklärt Liddy. Mein Bruder hat den Arm um sie gelegt.
»Ich werde Pastor Clive anrufen und ihm sagen, dass Max wieder sicher zu Hause ist«, sagt Reid und geht.
Pastor Clive hat auch nach mir gesucht? Erneut packt mich das schlechte Gewissen. Liddy öffnet den Schrank und greift ins oberste Regal. Sie schüttelt eine Decke aus und deckt mich damit zu. Kurz denke ich darüber nach, mich noch einmal bei ihr zu entschuldigen, doch dann tue ich einfach so, als würde ich schlafen.
Die Matratze gibt unter Liddys Gewicht nach. Sie sitzt so nahe neben mir, dass sie mich berührt, und ich halte die Luft an, bis ich spüre, wie sie mir das Haar aus dem Gesicht streicht.
Ihre Stimme ist nur ein Flüstern, und ich muss mich anstrengen, damit ich sie verstehe.
Sie betet. Ich höre ihr zu und tue so, als würde sie Gott nicht um Hilfe, sondern um mich bitten.
Am Tag unseres ersten Gerichtstermins steht Wade Preston vor Reids Tür und hält einen Anzug in der Hand. »Ich habe einen Anzug«, erkläre ich ihm.
»Jaja«, sagt er, »aber haben Sie auch den richtigen, Max? Der erste Eindruck ist entscheidend. Dafür gibt es keine zweite Chance.«
»Ich wollte einfach meinen schwarzen anziehen«, sage ich. Es ist nämlich der einzige Anzug, den ich besitze, und den habe ich auch noch aus der Altkleidersammlung der Eternal Glory Church. »Dazu wollte ich eine rote Krawatte tragen«, fahre ich fort. »Die habe ich mir von Reid geliehen.«
»Das kommt nicht infrage«, erwidert Wade. »Sie wollen doch nicht unnötig auffallen. Sie wollen bescheiden und bodenständig wirken, ein wahrer Fels in der Brandung. Sie wollen so aussehen, wie man aussieht, wenn man zum Elternabend im Kindergarten geht.«
»Aber Reid wird doch zu diesen Abenden …«
Wade winkt ab. »Jetzt stellen Sie sich doch nicht so dumm, Max. Sie wissen ganz genau, was ich meine. Ein roter Schlips sagt: Hallo, hier bin ich! «
Ich halte kurz inne. Einen so perfekt sitzenden Anzug wie Wades habe ich noch nie gesehen. An den Hemdmanschetten sind seine Initialen eingestickt, und sein Einstecktuch ist aus reiner Seide. » Sie tragen einen roten Schlips«, sage ich.
»Genau«, erwidert Wade. »Und jetzt ziehen Sie sich an.«
Eine Stunde später sitzen wir dichtgedrängt an den Tischen vorne im Gerichtssaal: Liddy, Reid, Ben Benjamin, Wade und ich. Den ganzen Morgen über habe ich kein Wort mit Liddy gewechselt. Vermutlich ist sie der einzige Mensch, der mich jetzt beruhigen kann, doch immer, wenn ich versuche,
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