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Ein Lied für meine Tochter

Ein Lied für meine Tochter

Titel: Ein Lied für meine Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Straße abgekommen ist«, berichtete Reid. »Zum Glück ist niemand verletzt worden.«
    Jedes Jahr zu Heiligabend leitete Liddy das Krippenspiel. »Und? Wie war’s?«, fragte ich sie. »Tretet ihr demnächst damit am Broadway auf?«
    »Es war einfach unvergesslich«, sagte Reid, und Liddy gab ihm einen Klaps.
    »Wir hatten ein kleines Tierproblem«, sagte sie. »Der Onkel eines der Mädchen hat einen Streichelzoo, und er hat uns einen Esel geliehen.«
    »Einen Esel?«, wiederholte ich. »Einen echten?«
    »Er war zahm. Er hat sich noch nicht einmal gerührt, als das Mädchen, das Maria gespielt hat, auf seinen Rücken geklettert ist. Aber dann …« Sie schauderte. »… dann ist er auf halbem Weg durch den Saal stehen geblieben und … und hat sein Geschäft erledigt.«
    Ich brach in lautes Lachen aus. »Er hat gekackt?«
    »Genau vor Pastor Clives Frau«, sagte Liddy.
    »Und was habt ihr dann gemacht?«
    »Ich habe einen Hirten abkommandiert zum Saubermachen, und die Mutter eines Engels ist losgelaufen und hat Teppichreiniger besorgt. Ich meine, was hätte ich denn sonst tun sollen? Ich hatte ja noch nicht einmal die offizielle Genehmigung, lebende Tiere mit in die Schule zu bringen.«
    »Das wäre nicht das erste Mal, dass ein Esel in die Kirche geht«, bemerkte Zoe mit ernstem Gesicht.
    Ich packte sie an den Ellbogen. »Zoe, komm, und hilf mir in der Küche.« Ich zog sie durch die Tür. Es roch wunderbar nach Ingwerbrot und Vanille. »Keine Politik. Das hast du mir versprochen.«
    »Ich werde nicht einfach meinen Mund halten, während er …«
    »Während er was?«, unterbrach ich sie. »Er hat doch gar nichts getan. Du bist diejenige mit den schnippischen Kommentaren!«
    Trotzig wandte sie sich von mir ab. Ihr Blick landete auf dem Kühlschrank, wo ein Türmagnet mit dem Bild eines Fötus prangte, und darunter stand zu lesen: ICH BIN EIN KIND. ICH LEBE.
    Ich legte die Hände auf Zoes Arme. »Reid ist meine Familie. Er mag ja konservativ sein, aber er ist mein Bruder, und wir haben Weihnachten. Ich bitte dich doch nur darum, eine Stunde lang zu lächeln, zu nicken und nicht über aktuelle Themen zu diskutieren.«
    »Und was, wenn er damit anfängt?«
    »Zoe«, flehte ich sie an, »bitte.«
    Und gut eine Stunde lang sah es tatsächlich so aus, als würden wir das Abendessen ohne größeren Zwischenfall überstehen. Liddy servierte Braten, Bratkartoffeln und einen Grüne-Bohnenauflauf. Sie erzählte uns von ihrem Christbaumschmuck, einer Sammlung antiker Stücke, die sie von ihrer Großmutter geerbt hatte. Sie fragte Zoe, ob sie gerne backen würde, und Zoe erzählte von einem Zitronenkuchen, den ihre Mutter immer gemacht hatte, als sie noch ein Kind gewesen war. Reid und ich sprachen über College-Football.
    Als Angels We Have Heard on High im Hintergrund lief, summte Liddy mit. »Das Lied habe ich den Kindern dieses Jahr für das Krippenspiel beigebracht«, erzählte sie. »Einige von ihnen hatten es noch nie gehört.«
    »Aus dem Weihnachtskonzert in der Grundschule ist inzwischen offenbar das Festtagskonzert geworden«, sagte Reid. »Ein paar Eltern haben sich beschwert, und jetzt wird dort nichts mehr gesungen, was irgendwelche religiösen Untertöne hat.«
    »Das ist ja auch eine öffentliche Schule«, erklärte Zoe.
    Reid schnitt ein kleines Stück aus seinem Braten. »Es herrscht Religionsfreiheit. Das steht sogar in der Verfassung.«
    »Es heißt Glaubensfreiheit, und das schließt eindeutig die Möglichkeit mit ein, nicht zu glauben«, korrigierte ihn Zoe.
    Reid grinste. »Du kannst es nennen, wie du willst, aber willst du Weihnachten das Christkind nehmen, Liebes?«
    »Zoe …«, unterbrach ich sie.
    »Er hat angefangen«, entgegnete Zoe.
    »So. Jetzt ist es wohl an der Zeit für den nächsten Gang.« Liddy, wie immer die Friedensstifterin, sprang auf und räumte die Teller ab, dann verschwand sie in der Küche.
    »Ich möchte mich für meine Frau entschuldigen, denn …«, sagte ich zu Reid, aber bevor ich den Satz beenden konnte, wirbelte Zoe wütend zu mir herum.
    »Zunächst einmal bin ich durchaus in der Lage, für mich selbst zu sprechen. Und zweitens werde ich nicht hier sitzen und so tun, als hätte ich keine Meinung zu …«
    »Du warst doch schon auf einen Streit aus, als wir hergefahren sind«, argumentierte ich.
    »Dann würde ich jetzt gerne einen Waffenstillstand ausrufen«, unterbrach uns Reid und lächelte verlegen. »Wir haben Weihnachten, Zoe. Einigen wir uns einfach darauf,

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