Ein Lied für meine Tochter
nicht wütend auf mich. Du bist wütend auf dich selbst. Denn obwohl du dir ja sooo sicher warst, dass es nichts nützt, und obwohl du so fest entschlossen warst, die Musiktherapie zu hassen, hat sie Wirkung gezeigt. Und du kommst gerne her.« Ich lege die Ukulele auf einen Tisch neben mir und schaue Lucy an. »Und du magst es, in meiner Nähe zu sein.«
Sie hebt den Blick. Ihr Gesicht sieht so verletzlich aus, dass ich fast vergesse, was ich gerade gesagt habe.
»Und wie reagierst du darauf?«, fahre ich fort. »Du sabotierst die therapeutische Beziehung, die wir aufgebaut haben, und das nur, weil du dir dann einreden kannst, du hättest recht gehabt. Dass es Scheiße ist. Dass es nie funktionieren wird. Aber es ist egal, wie du das machst oder was du dir als Grund dafür einredest, warum wir uns streiten. Du zerstörst das einzig Gute, das du hast, und das nur, damit du später nicht mit einer Enttäuschung klarkommen musst.«
Lucy springt auf. Sie ballt die Fäuste und presst die Lippen aufeinander. »Warum verstehen Sie einfach nicht?«, zischt sie. »Warum sind Sie überhaupt noch hier, verdammt?«
»Egal, was du sagst oder tust, Lucy, du kannst mich nicht verjagen. Ich werde dich nicht allein lassen.«
Sie ist wie erstarrt. »Niemals?« Das Wort klingt zerbrechlich und wunderschön zugleich.
Ich weiß, wie schwer es Lucy fällt, sich zu öffnen und jemandem den weichen Kern unter der harten Schale zu zeigen. Also verspreche ich es ihr. Ich bin nicht überrascht, als mir die Tränen in die Augen treten, als sie an meiner Brust zusammenbricht. Und ich tue, was jeder in dieser Situation tun würde: Ich halte sie fest, bis sie sich wieder selbst halten kann.
Die Glocke ertönt, doch Lucy macht keinerlei Anstalten, wieder in den Unterricht zu gehen. Mir kommt der Gedanke, dass jetzt vielleicht jemand diesen Raum braucht, doch als eine Lehrerin hereinkommt, sieht sie Lucy mit dem Gesicht auf dem Tisch und mich, wie ich ihr den Rücken reibe. Wir schauen einander in die Augen, und die Lehrerin schleicht wieder hinaus.
»Zoe?« Lucys Stimme klingt, als befände sie sich unter Wasser. »Versprechen Sie’s mir?«
»Das habe ich doch schon.«
»Ich meine, dass Sie nie wieder den Barney -Song spielen.«
Sie schaut mich von der Seite her an. Ihre Augen sind rot und geschwollen, und ihre Nase läuft, aber sie lächelt. Das habe ich ihr wiedergegeben , denke ich.
Ich tue so, als würde ich darüber nachdenken. »Du kannst verdammt hart verhandeln«, sage ich.
Max
Nichts ist für eine Kirchengemeinde besser als eine persönliche Krisensituation. Gib ihnen einen sterbenden Verwandten, ein krankes Kind oder eine Krebsdiagnose, und sie kommen alle. Dann stehen plötzlich ganze Menschenmassen vor deiner Tür und dein Name steht auf einer Gebetsliste am Schwarzen Brett. Frauen werden zu dir kommen, um bei dir sauber zu machen und auf deine Kinder aufzupassen, und du wirst wissen, egal durch welche Hölle du auch gehst, du bist nicht allein.
Seit Wochen schon betet man in der Eternal Glory Church für mich, sodass Gott sich von fast hundert Gemeindemitgliedern ganz schön was hat anhören müssen. Heute sitze ich in der Schulaula, die uns als Gebetssaal dient, und Pastor Clive beginnt mit seiner Predigt.
Die Kinder sind den Flur hinunter in einem Kunstraum und kleben Tierbilder auf die Fotokopie eines Bilds der Arche. Ich weiß das, weil ich Liddy gestern Abend dabei geholfen habe, Giraffen, Nilpferde, Eichhörnchen und Erdferkel zu zeichnen, die die Kinder in der Sonntagsschule ausmalen und ausschneiden können. Und es ist gut, dass sie heute nicht im Gebetssaal sind, denn Pastor Clive spricht über Sex.
»Meine Brüder und Schwestern in Christo«, beginnt er, »ich habe eine Frage an euch. Ihr kennt das doch sicher, dass manche Dinge einfach zusammenpassen? Dass das eine einfach zum anderen gehört? Wie Salz und Pfeffer. Erdnussbutter und Gelee. Rock und Roll. Umarmungen und Küsse. Hat man nur eins von beiden, fühlt sich das irgendwie so an, als würde man auf einem wackelnden Stuhl sitzen, nicht wahr? Unvollständig. Unfertig. Und wenn man ein falsches Wort hört – wenn ich zum Beispiel wie Katz und Papagei statt wie Katz und Hund sagen würde –, dann klingt das schlicht falsch. Wenn ich zum Beispiel Mutter sage, dann sagt ihr …?«
»Vater«, murmele ich zusammen mit allen anderen.
»Ehemann?«
»Ehefrau!«
Pastor Clive nickt. »Euch wird aufgefallen sein, dass ich nicht Mutter und Mutter gesagt
Weitere Kostenlose Bücher