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Ein Lied für meine Tochter

Ein Lied für meine Tochter

Titel: Ein Lied für meine Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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stapelt Wades Lakaiin ein Dutzend Bücher vor ihm auf, die er niemals aufschlägt, und schließlich fordert uns der Sheriff auf, uns zu erheben, und Richter O’Neill stapft herein.
    Doch diesmal sind wir nicht allein im Saal. Da sind Reporter und Gerichtszeichner. Und da ist eine Abordnung von Fred Phelps Westboro Baptist Church, alle in gelben T-Shirts, auf denen in Großbuchstaben steht: GOTT HASST SCHWUCHTELN, GOTT HASST AMERIKA, SCHWUCHTEL = SÜNDER, IHR FAHRT ZUR HÖLLE. Ich habe schon Bilder von ihnen gesehen, wo sie auf Beerdigungen von Soldaten protestiert haben – sie glauben, Gott töte US-Soldaten als Strafe für all die Homosexuellen in Amerika –, und ich frage mich, ob Wade mit seiner Medienschlacht nicht ein wenig zu weit gegangen ist. Haben sie diesen Prozess, meinen Prozess, wirklich auf dem Radar?
    Aber die Westboro-Leute sind nicht die einzigen Zuschauer. Auch Mitglieder meiner Gemeinde sind hier, und das entspannt mich ein wenig.
    Und dann sind da die anderen. Männer, die neben anderen Männern sitzen und Händchen halten. Ein Paar Frauen, die abwechselnd ein Baby halten, Freunde von Zoe vielleicht – oder von ihrer Lesben-Anwältin.
    Richter O’Neill nimmt hinter der Richterbank Platz. »Showtime«, murmelt Wade.
    »Bevor wir beginnen«, sagt der Richter, »möchte ich alle Anwesenden ermahnen – Anwälte, die beiden Parteien, Medien und Zuschauer –, dass ich in diesem Saal wie Gott bin. Sollte irgendjemand dieses Verfahren stören, dann wird der- oder diejenige sofort entfernt. Aus diesem Grund, meine Damen und Herren in den gelben T-Shirts, fordere ich Sie hiermit auf, Ihre T-Shirts entweder auszuziehen oder auf links zu drehen, sonst werden Sie sofort hinausbegleitet. Und bevor Sie mir einen Vortrag über Meinungs- und Demonstrationsfreiheit halten, Mr. Preston, lassen Sie mich betonen, dass Richter O’Neill nicht gerade glücklich ist, wenn man ihm das Leben schwermacht.«
    Die Baptisten aus Westboro ziehen sich Sweatshirts an, und ich habe das Gefühl, dass sie das schon öfter gemacht haben.
    »Gibt es irgendwas, was noch im Vorfeld geklärt werden muss?«, fragt der Richter, und Angela Moretti steht auf.
    »Euer Ehren, bevor Sie die Verhandlung eröffnen, möchte ich noch den Antrag stellen, die Zeugen zu separieren.«
    »Wer sind Ihre Zeugen, Mr. Preston?«, fragt der Richter. Die beiden Anwälte geben ihm ihre jeweilige Liste. O’Neill nickt. »An alle, die auf diesen Listen als Zeugen stehen: Bitte, verlassen Sie den Saal.«
    »Was?«, schreit Liddy hinter mir. »Aber wie soll ich dann …?«
    »Ich will dich hier unterstützen«, sagt Vanessa zu Zoe.
    Richter O’Neill schaut die beiden Frauen an. »Stö…rung …«, sagt er nur.
    Widerwillig bereiten Vanessa, Reid und Liddy sich darauf vor zu gehen. »Halt durch, Bruderherz«, sagt Reid und schlägt mir auf die Schulter, bevor er den Arm um Liddys Hüfte legt und sie aus dem Saal führt. Ich frage mich, wo sie wohl hingehen werden. Und was werden sie tun?
    »Haben Sie für heute Eröffnungsplädoyers vorbereitet?«, fragt Richter O’Neill. Als beide Anwälte nicken, schaut er zu Wade. »Mr. Preston, Sie dürfen beginnen.«
    Obwohl wir hier vor einem Familiengericht stehen, wo der Richter das Urteil fällt und nicht die Geschworenen, wendet Wade sich an den gesamten Saal. Er steht auf, streicht seine smaragdgrüne Krawatte glatt und dreht sich mit einem kleinen Lächeln zur Galerie um. »Wir sind heute hier versammelt, um den Verlust von etwas zu betrauern, was uns allen lieb und teuer ist: den Verlust der traditionellen Familie. Sicher erinnern Sie sich noch an sie, die viel zu früh verstorben ist: ein Mann und eine Frau, zwei Kinder. Ein weißer Lattenzaun. Ein Minivan. Vielleicht sogar ein Hund. Eine Familie, die sonntags zur Kirche ging und Jesus liebte. Eine Mom, die Kekse backte und eine Pfadfindergruppe leitete. Ein Dad, der mit seinem Sohn Fangen spielte und seine Tochter zum Altar leitete. Es ist schon lange her, dass das normal in dieser Gesellschaft war, aber wir haben uns immer wieder eingeredet, dass eine Institution, die so stark ist wie die Familie, alles überleben könnte. Und doch … Indem wir sie als selbstverständlich betrachteten, haben wir ihren Untergang erst besiegelt.« Wade faltet die Hände über dem Herz. »Ruhe in Frieden.
    In diesem Fall geht es nicht nur um Eigentumsrechte, Euer Ehren. Dieser Fall ist ein Weckruf, den Grundpfeiler unserer Gesellschaft am Leben zu erhalten: die

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