Ein Lied für meine Tochter
seiner geschiedenen Frau zu erkennen, dass ihre Sünde nicht größer ist als meine oder die aller Menschen und dass sie noch immer in deinem Reich willkommen ist. Hilf Max Baxters Kindern, den Weg zu dir zu finden.«
Immer mehr Leute stehen auf und kommen auf die Bühne, um über mir zu beten und mich zu berühren. Ihre Finger fühlen sich wie Schmetterlinge an, die nur einen Wimpernschlag lang landen und dann weiterfliegen. Ich höre, wie ihre Worte zu Gott hinaufsteigen. Ihr alle, die ihr nicht an die heilende Kraft des Gebetes glaubt, ich fordere euch auf: Kommt in eine Kirche wie meine und fühlt die Kraft einer Menschenmenge, die dich anfeuert.
Zum Gerichtsgebäude von Kent County führt ein langer Fußweg über den Parkplatz bis ins Gebäude, und der ist gesäumt von Gemeindemitgliedern der Eternal Glory Church. Ein paar Polizisten sind abgestellt worden, um für Ruhe zu sorgen, doch das scheint nicht nötig zu sein. Pastor Clive hat den Gläubigen aufgetragen, sich zu beiden Seiten des Fußwegs aufzustellen, und jetzt singen sie eine Hymne. Ich meine, man kann ja wohl kaum jemanden verhaften, nur weil er singt, oder?
Kaum sind wir eingetroffen – und mit ›wir‹ meine ich mich, Wade, Ben und Reid und Liddy, die direkt hinter uns gehen –, da tritt Pastor Clive aus der Reihe der Protestierenden hervor und kommt uns mitten auf dem Fußweg entgegen. Er trägt einen weißen Leinenanzug, ein rosa Hemd und eine gestreifte Krawatte. Er hebt sich deutlich von den Umstehenden ab, aber das würde er wohl auch in einem Kartoffelsack. »Max«, sagt er und umarmt mich. »Wie geht es dir?«
Liddy hat mir heute Morgen zum Abschied ein großes Frühstück gemacht, und ich habe es gegessen und mich prompt übergeben. So nervös bin ich. Aber bevor ich das Pastor Clive sagen kann, beugt Wade sich zu uns. »Schauen Sie mal nach links.«
Das tue ich, und da sehe ich die Kameras. »Lasset uns beten«, sagt Pastor Clive.
Wir blockieren den ganzen Fußweg. Wade hält meine rechte Hand, Pastor Clive die linke. Während die Reporter Fragen schreien, betet Pastor Clive laut und mit fester Stimme: »Vater im Himmel, in deiner Schrift steht, wer dich anruft, dem wirst du große und mächtige Dinge zeigen. Heute bitten wir dich: Lass Max und seine Anwälte standhaft bleiben, und führe sie zum Triumph. Verberge Max vor jenen Zungen, die ihn verunglimpfen wollen, und vor den falschen Zeugen, die nichts als die Unwahrheit verbreiten. Max, durch unseren Herrn wirst du deine Angst verlieren. Er weiß, und wir wissen, dass der Heilige Geist ihn sagen lassen wird, was gesagt werden muss.«
»Möp, möp«, höre ich, und ich reiße die Augen auf. Angela Moretti, Zoes Anwältin, steht ein paar Fuß entfernt, wo der Gebetskreis ihr den Weg versperrt. »Es tut mir leid, dass ich Ihren Billy-Graham-Moment unterbrechen muss, aber meine Mandantin und ich würden jetzt wirklich gerne ins Gericht.«
»Miss Moretti«, sagt Wade, »Sie wollen diesen freundlichen Menschen doch sicher nicht ihr Recht nehmen, das ihnen gemäß des ersten Verfassungszusatzes zusteht …«
»Aber mitnichten, Mr. Preston. Das würde mir auch gegen den Strich gehen – übrigens genauso wie ein auf Selbstdarstellung versessener Anwalt, der die Medien schon im Vorfeld ruft, weil er genau weiß, dass es zu irgendeiner erzwungenen Konfrontation zwischen seiner Partei und der Gegenseite kommen wird.«
Zoe wartet mit ihrer Mutter und Vanessa hinter Angela Moretti.
Eine Minute lang frage ich mich, wer hier wohl zuerst blinzeln wird. Und dann tut Liddy etwas, womit ich beim besten Willen nicht gerechnet habe. Sie tritt vor, umarmt Zoe und lächelt sie an. »Jesus liebt dich, weißt du?«, sagt sie.
»Wir beten für dich, Zoe«, fügt jemand anderes hinzu.
Mehr braucht es nicht, damit der Damm bricht, plötzlich murmelt jeder eine Botschaft der Hoffnung und des Glaubens für Zoe. Wade lässt meine Hand los, sodass Zoe sich zwischen uns hindurchdrängen kann. Dabei schaut sie mir plötzlich in die Augen.
Einen Augenblick lang steht die Welt still. »Gott vergibt dir«, sage ich zu ihr.
Zoes Augen sind klar und groß und von der Farbe eines Sturms. »Gott sollte wissen, dass es hier nichts zu vergeben gibt«, erwidert sie.
Diesmal ist es anders.
Aufgrund der vielen Anträge, die Wade gestellt hat, war ich inzwischen schon mehrmals bei Gericht, und die Prozedur ist immer die gleiche: Wir gehen den Gang hinunter und setzen uns an den Tisch der Anklage, dann
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