Ein Lied für meine Tochter
legt mir den Arm um die Schulter, als wir den Flur hinuntergehen. »Nur um es mal erwähnt zu haben«, sage ich. »Als du diesen hypothetischen Schulrüpel zusammenschlagen wolltest? Der Sozialarbeiterin gegenüber hätte ich es natürlich nie erwähnt, aber ich hätte hinter dir gestanden.«
»Deshalb liebe ich dich ja so.«
Wir sind am Aufzug angekommen, und ich drücke den Knopf. Als die Glocke ertönt, lösen Vanessa und ich uns voneinander.
Das ist uns zur zweiten Natur geworden.
Wir tun das, damit uns die Leute nicht anstarren.
Dienstagmorgens gehe ich immer ins Hospiz, um Musiktherapie mit Menschen zu machen, die jeden Tag ein Stückchen mehr sterben. Die Arbeit ist brutal und seelisch belastend. Dennoch würde ich jetzt lieber dort sein, als wieder neben Angela Moretti zu sitzen, diesmal bei der Anhörung zu einem Eilantrag, den Wade Preston gestern kurz vor Büroschluss eingereicht hat. Angela ist so wütend, dass sie noch nicht einmal Witze über Preston macht.
Richter O’Neill funkelt Preston an. »Ich habe hier einen Eilantrag vor mir liegen, in dem Sie darum bitten, Angela Moretti als Zoe Baxters Anwältin abzulehnen, und einen Gegenantrag gemäß Paragraf 11 der Prozessordnung von Miss Moretti, eben diesen Antrag abzulehnen. Oder um es anders auszudrücken: Hier liegt ein ganzer Haufen Kopfschmerzen auf meinem Tisch. Was ist hier los, Herr Anwalt?«
»Euer Ehren, es bereitet mir kein Vergnügen, dem Gericht das zur Kenntnis zu bringen. Aber wie Sie anhand des beigelegten Fotos sehen können, das ich hiermit als Beweisstück A einreiche, ist Miss Moretti nicht nur eine Lesben-Sympathisantin … Sie selbst pflegt diesen abartigen Lebensstil.«
Er hält ein körniges acht mal zehn großes Bild in die Höhe, das Angela und mich zeigt, wie wir uns umarmen. Ich muss die Augen zusammenkneifen, um zu sehen, wo das aufgenommen worden ist. Dann sehe ich den Maschendrahtzaun und die Laterne, und ich erkenne den Schulparkplatz.
Angela und ich hatten an jenem Tag keinen Termin vereinbart.
Und das heißt, dass Preston mich hat beschatten lassen.
Wade Preston zuckt mit den Schultern. »Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.«
»Da hat er recht«, sagt Angela. »Und dieses irreführende Bild spricht für sich selbst.«
»Wenn sie schon bereit sind, das in der Öffentlichkeit zu tun, stellen Sie sich dann nur mal vor, was sie in ihren eigenen vier Wänden …«
»Oh, mein Gott!«, murmelt Angela.
»Jetzt ist es ein wenig spät zum Beten, Schätzchen. Die Beklagte und ihre Anwältin befinden sich offensichtlich in einer unzüchtigen Beziehung, die den ethischen Grundsätzen der Anwaltschaft im Staate Rhode Island widerspricht«, erklärt Preston.
Ben Benjamin erhebt sich langsam. »Äh … Wade? In Rhode Island darf man Sex mit seinen Mandanten haben.«
Preston wirbelt zu ihm herum. »Was?«
Ich blinzele Angela an. »Darf man?«
Benjamin nickt. »Solange das nicht als Ersatzleistung für die Anwaltsgebühren dient.«
Unbeeindruckt dreht Preston sich wieder zum Richter um. »Euer Ehren, ungeachtet der Gesetzeslage in Rhode Island wissen wir doch alle, dass es gewisse ethische Standards in der Rechtsprechung gibt, und eine Anwältin muss schon eine äußerst fragwürdige Vorstellung von Moral haben, wenn sie eine Beziehung zu einer Mandantin unterhält, die so deutlich die Grenzen des Anstands überschreitet, wie auf Beweisstück A zu sehen. Miss Moretti ist offensichtlich ungeeignet, ihre Mandantin in diesem Fall unvoreingenommen zu repräsentieren.«
Der Richter dreht sich zu Angela um. »Ich nehme an, Sie haben dem etwas hinzuzufügen.«
»In der Tat«, antwortet Angela. »Ich leugne hiermit aufs Schärfste, dass ich eine Affäre mit meiner Mandantin habe, deren Frau just in diesem Augenblick direkt hinter mir sitzt. Was Mr. Prestons Paparazzi gesehen haben, war eine unschuldige Umarmung nach einer Besprechung mit meiner Mandantin. Sie war verzweifelt, als sie hörte, dass Mr. Preston einen Vormund ad litem für einen Zellhaufen beantragt hatte. Obwohl ich durchaus verstehe, warum Mr. Preston simples, menschliches Mitgefühl nicht erkennt, wenn er es sieht – vorausgesetzt, er ist ein Mensch –, so hat er die Situation schlicht falsch interpretiert. Außerdem, Euer Ehren, stellt sich nun die Frage, warum überhaupt jemand Aufnahmen von meiner Mandantin gemacht hat.«
»Sie war an einem öffentlichen Ort, auf einem Parkplatz, für alle zu sehen«, argumentiert Preston.
»Ist das ein
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