Ein Lied für meine Tochter
geirrt hatten, wenn es schreiend und strampelnd zur Welt kommen würde.«
»Und was ist geschehen, nachdem das Kind geboren war?«
»Er hat nicht gestrampelt. Und er hat nicht geschrien.« Max starrt auf den Tisch. »Er war so winzig. Er hatte noch kein Fett auf den Knochen wie andere Neugeborene. Und er hatte noch keine Fingernägel und keine Augenbrauen, aber er war perfekt. Er war so unglaublich perfekt und so … so still.« Ich bemerke, dass ich mich immer weiter vorgebeugt habe, als warte ich auf etwas, und jetzt zwinge ich mich, mich wieder zurückzulehnen. »Wir haben ihn Daniel genannt und seine Asche im Meer verstreut.«
Angela tritt einen Schritt auf mich zu. »Und was ist geschehen, nachdem Ihr Sohn gestorben ist?«
»Es kam zu weiteren medizinischen Komplikationen. Als ich aufgestanden bin, um ins Badezimmer zu gehen, ist mir schwindelig geworden, und ich bekam Atemnot. Ich hatte Schmerzen in der Brust. Wie sich herausstellte, hatte sich nach der Totgeburt ein Blutgerinnsel gebildet, das bis in die Lunge gewandert war. Ich wurde auf Heparin gesetzt, und bei den darauffolgenden Untersuchungen fanden die Ärzte heraus, dass ich unter einer Erbkrankheit litt, einer sogenannten AT-III-Schwäche. Einfach ausgedrückt heißt das, dass mein Körper zur Bildung von Blutgerinnseln neigt und dass die Schwangerschaft das vermutlich noch gefördert hat. Ein lebensbedrohlicher Zustand. Doch zu diesem Zeitpunkt hat mich nur eine Frage interessiert: Könnte ich noch ein Baby bekommen?«
»Und wie lautete die Antwort darauf?«
»Dass eine erneute Schwangerschaft zu ernsten Problemen führen könnte, aber wenn ich denn wirklich noch einmal schwanger werden wollte, dann sei das durchaus möglich.«
»Und wollte Max, dass Sie noch mal versuchen, ein Kind zu bekommen?«, will Angela wissen.
»Ich dachte, ja«, gebe ich zu. »Bis dahin war er immer einer Meinung mit mir, was das betraf. Aber nach dem Arztbesuch erklärte er mir, dass er nicht länger mit mir zusammen sein könne, weil ich ein Baby mehr als alles andere auf der Welt wolle … und das sei nicht, was er wolle.«
»Und was wollte er?«
Ich schaue sie wieder an. »Die Scheidung«, antworte ich.
»Sie haben also noch unter dem Tod Ihres Kindes gelitten und außerdem mit einer schwerwiegenden Diagnose gekämpft, als Ihr Mann Ihnen aus heiterem Himmel erklärte, er wolle die Scheidung. Wie haben Sie reagiert?«
»Ich kann mich nicht mehr so recht erinnern. Ich glaube, ich bin einen Monat lang einfach im Bett geblieben. Alles war wie verschwommen. Ich konnte mich auf nichts konzentrieren, war vollkommen unfähig, irgendetwas zu tun.«
»Und was hat Max getan?«
»Er ist ausgezogen und zu seinem Bruder gegangen.«
»Wer hat Sie bei Ihrer Scheidung vertreten?«
Ich zucke mit den Schultern. »Wir haben beide uns selbst vertreten. Wir hatten weder Geld noch Eigentum, also kam uns das nicht so schwer vor. Ich war damals noch immer wie betäubt. Ich kann mich kaum daran erinnern, zum Gericht gegangen zu sein. Ich habe einfach alles unterschrieben, was per Post kam.«
»Haben Sie während des Scheidungsverfahrens je an die eingefrorenen Embryonen in der Klinik gedacht?«, fragt Angela.
»Nein.«
»Obwohl Sie nach wie vor ein Kind wollten?«
»Damals«, erkläre ich, »wollte ich ein Kind mit einem Partner, der mich liebt. Ich dachte, das wäre Max. Ich hatte mich geirrt.«
»Und jetzt sind Sie verheiratet?«
»Ja«, bestätige ich. »Mit Vanessa Shaw.« Nur dadurch dass ich ihren Namen ausspreche, kann ich wieder leichter atmen. »Sie ist Schulpsychologin an der Wilmington High. Ich habe sie vor ein paar Jahren kennengelernt, als sie mich gebeten hat, mit einem autistischen Kind zu arbeiten. Später habe ich sie dann erneut getroffen, und sie hat mich gefragt, ob ich wieder mit einem Kind arbeiten wolle, einem selbstmordgefährdeten Mädchen. In der Zeit haben wir uns angefreundet und immer mehr miteinander unternommen.«
»Gibt es irgendetwas Besonderes, was Sie einander nähergebracht hat?«
»Vanessa hat mir das Leben gerettet«, erkläre ich offen. »Ich habe plötzlich stark aus dem Unterleib geblutet, und sie war diejenige, die mich gefunden und den Krankenwagen gerufen hat. Ich wurde untersucht, und dabei stellte man fest, dass ich Gebärmutterkrebs hatte. Eine Totaloperation wurde notwendig. Das war eine sehr, sehr schwere Zeit für mich.«
Ich schaue Max nicht an. Ich bin nicht sicher, wie viel er davon weiß.
»Und mir war klar, dass
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