Ein Lied für meine Tochter
da.
»Ich bin hier, ich bin hier!«, ruft Angela Moretti und platzt in den Saal hinein. Ihre Bluse hängt aus dem Bund, und sie trägt Sneakers statt Highheels zu ihrem Kostüm. Sie hat einen Fleck auf der Wange, der Gelee oder Blut sein könnte. »Mein Kind hat ein Stück Schinken in den CD-Player meines Vans gestopft«, erklärt sie. »Tut mir leid, dass ich aufgehalten wurde.«
»Nehmen Sie sich ruhig Zeit, Frau Anwältin«, sagt Richter O’Neill.
Angela kramt in ihrer Aktentasche. Sie holt ein SpongeBob-Malbuch heraus, eine Kochzeitschrift und einen Roman, bevor sie die Aktenmappe findet. »Euer Ehren, es hat bis dato in diesem Land nur einen einzigen Fall gegeben, in dem die Erfüllung einer vertraglichen Vereinbarung, wie die Baxters sie unterzeichnet haben, per Gerichtsbeschluss erzwungen worden ist. Im Fall Kaas gegen Kaas haben beide Parteien Formulare unterschrieben, in denen es hieß, dass die Klinik im Falle einer Scheidung der beiden und wenn diese sich nicht über den Verbleib der Embryonen einigen können, die Embryonen vernichten darf, und das Gericht hat das durchgesetzt. Wenn die Parteien sich damals freiwillig auf solch eine Vereinbarung eingelassen hätten, argumentierte das Gericht, dann könne man sie auch durchsetzen. In anderen derartigen Fällen – und das sind nur sehr, sehr wenige – hat das Gericht jedoch fast immer zugunsten des Elternteils entschieden, das keine Kinder haben wollte. Im Fall Davies gegen Davies wollte die Mutter ursprünglich die Embryonen, beschloss dann jedoch, sie zu spenden, und das wiederum hat das Gericht dazu bewegt, sie dem Vater zuzusprechen, der eigentlich gar keine Kinder haben wollte. Das Gericht argumentierte, wenn es einen Vertrag gebe, dann müsse der auch eingehalten werden. Sei dies jedoch unmöglich, dann müsse man das Recht des Elternteils, das Kinder haben will, gegen das Recht des anderen abwägen, das eben dies nicht wünscht. Im Fall A. Z. gegen B. Z. in Massachusetts stand in den entsprechenden Vereinbarungen, dass die Frau im Falle einer Scheidung die Verfügungsgewalt über die Embryonen erhält. Allerdings wollte der Ehemann per Gerichtsurteil verhindern, dass sie sie auch benutzt. Das Gericht entschied, dass der Fortpflanzungswunsch eines Menschen schwerer wiegt als ein Vertrag. Außerdem hätten sich die Umstände seit Vertragsunterzeichnung dermaßen drastisch verändert, dass der Vertrag nicht mehr als legitim gelten könne. Das Gericht erklärte des Weiteren, dass es falsch sei, eine Vereinbarung durchzusetzen, die einen der Spender gegen seinen Willen zwingen würde, ein Kind zu bekommen.«
Angela knöpft ihr Jackett zu. »Im Fall J. B. gegen M. B. in New Jersey gab es einen Vertrag, der besagte, dass die eingefrorenen Embryonen im Falle einer Scheidung vernichtet werden sollten. Als es schließlich zu dieser Scheidung kam, wollte die Frau, dass die Embryonen vernichtet werden, doch der Ehemann erklärte nun, das widerspräche seiner religiösen Überzeugung und verstoße gegen sein Recht, Vater zu werden. Das Gericht hat den Vertrag für ungültig erklärt – diesmal mit der Begründung, dass es das Recht eines jeden Menschen sei, in so einer entscheidenden Frage seine Meinung zu ändern. Ein Vertrag müsse die Absicht beider Parteien widerspiegeln, und da das hier nicht mehr der Fall sei, entschied das Gericht, dass der Wunsch, keine Kinder zu bekommen, schwerer wiege als der Wille des Vaters, denn schließlich könne der später immer noch Kinder zeugen.«
Sie dreht sich zu Zoe um. »Euer Ehren, der Unterschied zwischen diesen Fällen und unserem besteht darin, dass keine der beiden Parteien will, dass diese Embryonen vernichtet werden. Zoe und Max wollen sie beide, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Dennoch gilt etwas aus diesen anderen Fällen auch hier, Euer Ehren: Wenn die Umstände sich dramatisch ändern – sei es aufgrund von Scheidung oder aus religiösen Gründen –, dann fehlt dem Vertrag jegliche Grundlage, und er ist somit null und nichtig. Wenn Sie heute entscheiden, die Durchsetzung des Vertrages zu erzwingen, obwohl beide Parteien den Embryonen eine Chance zu leben geben wollen, dann wäre das schlicht eine Fehlentscheidung.«
Plötzlich herrscht Unruhe im hinteren Teil des Saals. Ich drehe mich um und sehe Pastor Clive den Mittelgang hinunterstürmen. Sein Gesicht ist fast so weiß wie sein Anzug. Er beugt sich genau in dem Moment zwischen mir und Ben Benjamin über das Geländer, als Wade
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