Ein Lied für meine Tochter
zwei, aber nicht diesen Winter. Dafür stecke ich einfach zu tief in den Schulden, und es gibt zu wenig Arbeit. Meine Fünf-Mann-Landschaftsgärtnerei verwandelt sich in ein Ein-Mann-Schneepflugunternehmen.
Ich stutze gerade die Rosen eines Kunden, als einer meiner Sommerarbeiter die Einfahrt raufkommt. Todd, ein Highschool-Schüler, hat letzte Woche aufgehört zu arbeiten, als die Schule wieder angefangen hat. »Max?«, sagt er. »Hast du mal eine Minute Zeit?«
»Sicher«, antworte ich. Ich setze mich auf die Fersen und blinzele zu ihm hinauf. Die Sonne steht schon tief, obwohl wir erst halb vier haben. »Wie läuft’s in der Schule?«
»Es geht so.« Todd zögert. »Ich, äh, wollte dich fragen, ob ich meinen Job wiederhaben kann.«
Meine Knie knirschen, als ich aufstehe. »Es ist noch ein wenig früh, um jemanden für den Frühling einzustellen.«
»Ich meinte auch für Herbst und Winter. Ich habe einen Führerschein. Ich könnte für dich Schnee räumen und …«
»Todd«, unterbreche ich ihn, »du bist ein guter Junge, aber das Geschäft ist gerade ein wenig mau. Ich kann es mir im Augenblick nicht leisten, dich einzustellen.« Ich klopfe ihm auf die Schulter. »Ruf mich im März noch mal an, okay?«
Ich mache mich auf den Weg zu meinem Truck. »Max!«, ruft Todd mir hinterher, und ich drehe mich wieder um. »Ich brauche diesen Job.« Sein Adamsapfel hüpft auf und ab. »Meine Freundin … Sie ist schwanger.«
Vage erinnere ich mich daran, wie Todds Freundin im Juli mal in einem Wagen voller kichernder Teens vor dem Haus eines Kunden gehalten hat. Mit ihren langen braunen Beinen ist sie zu Todd marschiert und hat ihm eine Thermoskanne mit frischer Limonade in die Hand gedrückt. Dann hat sie ihn geküsst und lief zum Wagen zurück, während Todd rot anlief. Ich erinnere mich daran, wie ich in seinem Alter war. Ich hatte jedes Mal Panik, wenn ich Sex hatte, denn ich war fest davon überzeugt, dass ich zu den zwei Prozent gehören würde, denen das Kondom platzt.
Wie kommt es , hat Zoe immer gesagt, dass man mit sechzehn schwanger wird, wenn man es nun wirklich nicht will, aber mit vierzig, wenn man sich von ganzem Herzen ein Baby wünscht, dann geht gar nichts mehr?
Ich schaue Todd nicht in die Augen. »Tut mir leid«, murmele ich, »aber ich kann dir nicht helfen.« Ich fummele an ein paar Geräten auf der Ladefläche meines Trucks herum, bis ich ihn wegfahren sehe. Ich habe noch zu tun, aber ich beschließe, es für heute gut sein zu lassen. Immerhin bin ich der Boss. Ich sollte wissen, wann es an der Zeit ist aufzuhören.
Ich fahre zu einer Bar, an der ich schon fünfzig Mal vorbeigekommen bin. Sie heißt Quasimodo’s, und an einem schlecht gestrichenen, vergitterten Fenster hängt ein beleuchtetes Budweiser-Schild. Mit anderen Worten: Das ist genau die Art von Ort, wo nachmittags niemand hingeht.
Und tatsächlich … Als ich reinkomme und meine Augen sich an das schummerige Licht gewöhnt haben, denke ich, dass ich mit dem Barkeeper alleine bin. Dann bemerke ich eine Frau mit blond gefärbtem Haar, die am Tresen Kreuzworträtsel löst. Ihre Arme sind nackt und dürr, die Haut dünn wie Papier. Sie sieht fremd und vertraut zugleich aus, wie ein T-Shirt, das man zu oft gewaschen hat, sodass das Bild vorne nur noch ein Farbklecks ist. »Irv«, sagt sie, »was ist ein Sediment mit fünf Buchstaben?«
Der Barkeeper zuckt mit den Schultern. »Etwas, wonach man ein gutes Katerfrühstück braucht?«
Die Frau runzelt die Stirn. »Dafür ist das Kreuzworträtsel der New York Times zu fein.«
»Loess«, sage ich und setze mich auf einen Hocker.
»Bitte was?«, fragt die Frau und dreht sich zu mir um.
»L-O-E-S-S. Das ist ein vom Wind abgelagertes Sediment, das vorwiegend aus Schluff besteht.« Ich deute auf die Zeitung. »Das ist die Antwort.«
Die Frau schreibt die Buchstaben in die dafür vorgesehenen Felder. »Wissen Sie zufällig auch das hier? Anderer Name für die Londoner U-Bahn?«
»Tut mir leid.« Ich schüttele den Kopf. »Solche Sachen weiß ich nicht. Ich kenne mich nur ein wenig mit Geologie aus.«
»Was kann ich Ihnen bringen?«, fragt der Barkeeper und legt eine Serviette vor mich hin.
Ich schaue zu den Flaschen hinter ihm. »Sprite«, sage ich.
Er zapft mir eine Limonade und stellt sie mir hin. Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich die Frau einen Martini trinken, und mir läuft das Wasser im Mund zusammen.
Über der Bar steht ein Fernseher. Oprah Winfrey verrät gerade
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