Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Lied für meine Tochter

Ein Lied für meine Tochter

Titel: Ein Lied für meine Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
jedermann Schönheitsgeheimnisse aus aller Welt. Will ich wissen, wie japanische Frauen es schaffen, dass ihre Haut so glatt bleibt?
    »Sind Sie so eine Art Professor?«, fragt die Frau.
    Ich lache. »Ja«, antworte ich. Und warum sollte ich das auch nicht sagen? Ich werde sie ohnehin nie wiedersehen.
    Dabei habe ich in Wahrheit noch nicht einmal einen College-Abschluss. Vor gefühlten hundert Jahren habe ich es geschafft, schon als Junior von der URI zu fliegen. Im Gegensatz zu Reid, dem goldenen Sohn, der seinen Abschluss mit Auszeichnung gemacht hat und seitdem als Finanzanalyst bei der Bank of Boston arbeitet, habe ich vor allem Kurse im Komasaufen belegt. Anstatt zu studieren, habe ich nur gefeiert. Mir fehlt die Erinnerung an ein ganzes Semester, und einmal bin ich morgens auf den Stufen der Bibliothek aufgewacht, ohne zu wissen, wie ich dorthin gekommen bin.
    Als mein Dad mich nicht wieder einziehen lassen wollte, habe ich mich auf Reids Couch in seinem Apartment am Kenmore Square niedergelassen. Ich habe einen Job als Nachtwächter in einem Einkaufszentrum gefunden, bin aber wieder entlassen worden, weil ich jedes Mal zu spät gekommen bin, wenn ich meinen Rausch ausschlafen musste. Irgendwann habe ich dann begonnen, Reid Geld zu stehlen, um mir billigen Fusel kaufen und ihn in der Wohnung verstecken zu können. Dann bin ich eines Morgens verkatert aufgewacht und habe in den Lauf einer Pistole geblickt.
    »Reid! Was zum …?«, habe ich geschrien und mich aufgerappelt.
    »Wenn du dich unbedingt umbringen willst, Max«, hat er gesagt, »dann lass uns das beschleunigen.«
    Gemeinsam haben wir allen Alkohol ins Spülbecken geschüttet. Reid hat sich einen Tag frei genommen, um mich zu meinem ersten Treffen der Anonymen Alkoholiker zu begleiten. Das war vor siebzehn Jahren. Als ich Zoe kennenlernte, mit neunundzwanzig, da war ich clean und wusste, dass man auch ohne College-Abschluss etwas aus seinem Leben machen konnte. Ich dachte an die Collegekurse zurück, die mir gefallen hatten – die in Geologie –, und ich dachte mir, damit könnte man was machen. Ich besorgte mir einen Existenzgründerkredit, kaufte meinen ersten Rasenmäher, lackierte meinen Truck um und druckte Flugblätter. Ich mag ja kein so luxuriöses Leben wie Reid und Liddy führen, aber ich habe letztes Jahr dreiundzwanzigtausend Dollar netto verdient, und außerdem hatte ich noch Zeit zum Surfen, wenn die Wellen gut waren.
    Zusammen mit Zoes Einkommen reichte das, um ein Haus zu mieten – das Haus, in dem sie jetzt wohnt. Wenn man der Partner ist, der aus einer Beziehung raus will, dann muss man auch bereit sein, wirklich zu gehen. Obwohl es schon einen ganzen Monat her ist, frage ich mich manchmal, ob Zoe daran gedacht hat, den Vermieter zu bitten, den Kamin reinigen zu lassen. Oder ob sie den Mietvertrag um ein weiteres Jahr verlängert hat, diesmal ohne meinen Namen darauf. Und ich frage mich, wer jetzt ihre schweren Trommeln die Eingangsstufen hinaufschleppt oder ob sie sie die Nacht über im Wagen lässt.
    Ich frage mich, ob ich einen Fehler begangen habe.
    Ich schaue auf den Martini der Kreuzworträtselfrau. »Hey«, sage ich zu Irv, dem Barkeeper, »kann ich auch einen haben?«
    Die Frau klopft mit dem Stift auf die Bar. »Unterrichten Sie Geologie?«
    Im Fernsehen erklärt Oprah gerade, wie man sich eine Salzpackung macht, ganz im Stil Kleopatras.
    »Nein, Ägyptisch«, lüge ich.
    »Wie Indiana Jones?«
    »So ähnlich«, antworte ich. »Nur dass ich keine Angst vor Schlangen habe.«
    »Waren Sie schon mal da? Am Nil?«
    »O ja«, sage ich, obwohl ich noch nicht einmal einen Reisepass besitze. »Ein Dutzend Mal.«
    Die Frau schiebt mir den Stift und die Zeitung hin. »Können Sie mir zeigen, wie mein Name auf Ägyptisch aussieht?«
    Irv bringt mir den Martini, und ich breche in Schweiß aus. Es wäre ja so leicht …
    »Ich bin Sally«, sagt die Frau. »S-A-L-L-Y.«
    Es ist schon erstaunlich, was man alles tut, wenn man etwas wirklich will. Man ist bereit, alles zu tun, alles zu sagen, alles zu sein. So erging es mir mit dem Trinken. Um an Geld für Alk zu kommen, habe ich Dinge getan, von denen ich sicher weiß, dass ich sie verdrängt habe. Und so habe ich auch den Wunsch nach einem Kind empfunden. Einem Fremden Details über mein Sexleben erzählen? Klar doch. Meiner Frau eine Nadel in den Arsch rammen? Mit Vergnügen. In eine Flasche wichsen? Kein Problem. Hätten die Ärzte uns gesagt, wir sollten rückwärts laufen und

Weitere Kostenlose Bücher