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Ein Lied für meine Tochter

Ein Lied für meine Tochter

Titel: Ein Lied für meine Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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dabei Opernarien singen, um die Chance auf ein Baby zu erhöhen, wir hätten nicht einmal mit der Wimper gezuckt.
    Wenn man etwas wirklich will, dann lügt man sich selbst etwas vor – dauernd.
    Zum Beispiel: Beim fünften Mal klappt es garantiert.
    Oder: Sobald das Baby da ist, renkt sich zwischen Zoe und mir schon alles wieder ein.
    Oder: Ein Schluck wird mich schon nicht umbringen.
    Ich habe im Fernsehen mal eine Dokumentation über einen Riesentintenfisch gesehen, und sie haben gefilmt, wie er seine Tinte ins Wasser spritzt, um einem Feind zu entkommen. Die Tinte war schwarz und wunderschön, und sie bewegte sich wie Rauch, eine Ablenkung, damit der Tintenfisch fliehen konnte. So fühlt sich auch Alkohol in meinem Blut an. Er ist die Tinte der Krake, und er blendet mich, sodass ich vor allem fliehen kann, was mir wehtut.
    Die einzige Sprache, die ich beherrsche, ist Englisch. Trotzdem zeichne ich drei Wellenlinien auf den Rand der Zeitung, so etwas Ähnliches wie eine Schlange und eine Sonne. »Das gibt natürlich nur die Laute wieder«, erkläre ich. »Sally kann man nicht wirklich übersetzen.«
    Sally reißt die Ecke von der Zeitung ab, faltet sie zusammen und steckt sie in ihren BH. »Ich werde es als Tattoo tragen.«
    Höchstwahrscheinlich wird der Tätowierer nicht die geringste Ahnung haben, ob das nun wirklich Hieroglyphen sind oder nicht. Wahrscheinlich hätte ich genauso gut schreiben können: Wollen Sie sich amüsieren, rufen Sie Nofretete an.
    Sally hüpft von ihrem Hocker und setzt sich auf den Hocker neben mir. »Wollen Sie diesen Martini trinken oder warten, bis er antik ist?«
    »Das habe ich noch nicht entschieden«, antworte ich, und damit sage ich ihr zum ersten Mal die Wahrheit.
    »Nun, dann entscheiden Sie sich mal«, erwidert Sally, »damit ich Ihnen noch einen ausgeben kann.«
    Ich hebe den Martini und trinke ihn in einem langen, feurigen, wahnsinnigen Schluck. »Irv«, sage ich und stelle das leere Glas auf den Tresen. »Sie haben gehört, was die Lady gesagt hat.«
    Als ich zum ersten Mal eine Samenprobe in der Klinik abgeben musste, kam die Krankenschwester ins Wartezimmer und rief meinen Namen. Als ich aufstand, dachte ich: Jeder hier weiß ganz genau, was ich gleich tun werde.
    In den Broschüren, die man Zoe und mir gegeben hatte, stand, dass die Frau bei der Samenabgabe ›assistieren‹ könne, doch meine Frau bei mir zu haben, während ich mir einen runterhole und während vor der Tür Ärzte und Krankenschwestern herumlaufen, wäre mir noch viel peinlicher gewesen. Die Krankenschwester führte mich den Flur hinunter. »Bitte sehr«, sagte sie und gab mir eine braune Papiertüte. »Lesen Sie einfach die Anweisungen.«
    »So schlimm ist das nicht«, hatte Zoe beim Frühstück zu mir gesagt. »Betrachte es einfach als Besuch in Pee-Wees Playhouse.«
    Und sie hatte ja auch recht. Was hatte ich schon für einen Grund, mich zu beschweren? Sie hingegen wurde zweimal am Tag gespritzt, musste ständig Unterleibsuntersuchungen über sich ergehen lassen und bekam so viele Hormone, dass sie manchmal schon in Tränen ausbrach, wenn sie nur die Straße überquerte. Im Vergleich dazu war es wirklich kein Problem, ein wenig Hand an sich zu legen.
    In dem Raum war es eiskalt. Es gab eine Couch mit einem Laken darauf, einen Fernseher mitsamt Videorekorder, eine Spüle und einen Kaffeetisch. Ein paar Videos lagen herum – Die Gestiefelte Muschi, Breast Side Story  –, dazu einige Playboy- und Hustler -Ausgaben und seltsamerweise auch ein Exemplar der Guten Hausfrau . Rechts befand sich ein kleines Fenster wie am Eingang einer billigen Kneipe. Dort würde ich die Probe abgeben, sobald ich fertig war. Die Krankenschwester verließ den Raum, und ich drückte den Knopf, der als Schloss diente. Dann öffnete ich die Tür wieder und schloss noch mal ab … nur um sicherzugehen.
    Ich öffnete die Papiertüte. Der Probenbecher war riesig. Das war ein regelrechter Eimer. Was erwarteten die denn von mir?
    Und was, wenn ich danebenschoss?
    Ich begann, eines der Magazine durchzublättern. Als ich das das letzte Mal gemacht hatte, war ich fünfzehn und hatte gerade die Dezemberausgabe des Playboy von einem Zeitungsstand geklaut. Ich wurde mir plötzlich unglaublich bewusst, wie laut ich atmete. Vielleicht war das ja nicht normal. Vielleicht hieß das ja, dass ich einen Herzinfarkt bekam.
    Aber vielleicht sollte ich mich auch einfach nur zusammenreißen.
    Ich schaltete den Fernseher an. Es lief bereits ein

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