Ein Lied für meine Tochter
habe so viel Mist in meinem Leben gebaut, dass ich es noch immer nicht selbstverständlich finde, gelobt zu werden. Pastor Clive führt mich zu der Couch auf der anderen Seite des Raums und bietet mir einen Platz und ein paar Lakritze an. »Nun«, sagt er, »Alva hat gesagt, du hättest ziemlich aufgeregt am Telefon geklungen.«
Ich weiß nicht, wie ich ihm sagen soll, was ich ihm sagen muss. Ich weiß nur, dass ich es jemandem sagen muss. Und der Mensch, dem ich mich normalerweise anvertraue, Reid, hat im Augenblick schon genug eigene Probleme. Liddy geht es zwar schon besser, aber sie ist noch weit von hundert Prozent entfernt.
»Ich kann dir versichern«, sagt Pastor Clive in sanftem Ton, »dass dein Bruder und Liddy nach dieser Herausforderung noch stärker sein werden als zuvor. Gott hat einen Plan für sie, auch wenn er es noch nicht für angebracht hält, ihn uns zu offenbaren.«
Dass der Pastor über Liddys Fehlgeburt redet, lässt mich zusammenzucken, ich fühle mich beschämt. Ich sollte für meinen Bruder beten und mich nicht in meiner eigenen Verwirrung über eine Frau suhlen, von der ich mich freiwillig habe scheiden lassen. »Es geht nicht um Reid«, sage ich. »Ich habe gestern meine geschiedene Frau getroffen, und sie hat mir gesagt, sie sei jetzt homosexuell.«
Pastor Clive lässt sich auf seinem Stuhl zurücksinken. »Oh.«
»Sie war mit einer Frau im Supermarkt … ihrer Partnerin . So hat sie das genannt.« Ich schaue auf meinen Schoß. »Wie konnte sie nur? Sie hat mich geliebt. Das weiß ich. Sie hat mich geheiratet, und sie und ich, wir haben … Sie wissen schon. Ich hätte es doch merken müssen, wenn sie solche Neigungen gehabt hätte.« Ich atme tief durch. »Oder?«
»Vielleicht hast du das auch«, überlegt Pastor Clive, »und vielleicht war es ja das, was dich zu der Erkenntnis gebracht hat, dass eure Ehe zerrüttet war.«
Ist das möglich? Könnte ich unterbewusst etwas gespürt haben, bevor Zoe es selbst bemerkt hat?
»Ich kann mir vorstellen, dass du dich im Augenblick sehr … unzulänglich fühlst«, fährt der Pastor fort. »Dass du dir sagst: Wäre ich mehr Mann gewesen, wäre das vielleicht nicht passiert.«
Ich kann ihm nicht in die Augen schauen, aber ich spüre, wie meine Wangen brennen.
»Und ich kann mir vorstellen, dass du wütend bist. Vermutlich glaubst du, wenn andere von Zoes neuem Lebensstil erfahren, werden sie denken, was für ein Narr du doch warst, und dich dafür verurteilen.«
»Ja!«, explodiere ich. »Ich … Ich kann nicht …« Die Worte bleiben mir im Halse stecken. »Ich kann einfach nicht verstehen, warum sie das tut.«
»Sie hat sich das nicht ausgesucht«, erklärt Pastor Clive.
»Aber … Niemand wird homosexuell geboren. Das sagen Sie doch selbst immer wieder.«
»Da hast du recht, und das stimmt auch. Biologisch gibt es keine Homosexualität. Wir sind alle heterosexuell. Doch einige von uns haben aus den unterschiedlichsten Gründen mit einem homosexuellen Problem zu kämpfen. Niemand entscheidet sich dafür, sich von jemandem des gleichen Geschlechts angezogen zu fühlen, Max. Aber wir entscheiden darüber, wie wir mit diesen Gefühlen umgehen.« Er beugt sich vor und steckt die Hände zwischen die Knie. »Kleine Jungen werden nicht schwul geboren – sie werden zu Schwulen gemacht, von Müttern, die nicht loslassen können oder sich emotionale Befriedigung von ihren Söhnen erhoffen, oder von Vätern, die keine Beziehung zu ihren Kindern haben. Das führt dazu, dass ein Junge sich männliche Anerkennung auf einem anderen, falschen Weg sucht. Gleiches gilt für kleine Mädchen, deren Mütter nicht ausreichend Bindung zu ihnen aufbauen können, um ihnen als Modell für ihre Weiblichkeit zu dienen. Und einen wirklichen Vater haben sie oftmals auch nicht.«
»Zoes Dad starb, als sie noch klein war …«, sage ich.
Pastor Clive schaut mich an. »Was ich damit sagen will, Max, ist Folgendes: Sei nicht wütend auf sie. Sie braucht deine Wut nicht. Was sie braucht – was sie verdient –, ist deine Gnade.«
»Ich … Ich verstehe nicht.«
»Als ich noch ein junger Mann war, habe ich in der Gemeinde eines Pastors gedient, der so konservativ war, wie man es sich nur vorstellen kann. Das war während der Aids-Krise, und Pastor Wallace hat homosexuelle Patienten im Krankenhaus besucht. Er hat mit ihnen gebetet, wenn sie sich nicht gut gefühlt haben, und er war einfach mit ihnen zusammen, wenn es ihnen ein wenig besser ging.
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