Ein Lied für meine Tochter
Schließlich wurde ein homosexueller Lokalsender auf ihn aufmerksam und bat ihn um ein Interview. Als man ihn nach seiner Meinung zur Homosexualität fragte, antwortete er sofort, dass es Sünde sei. Der Moderator machte deutlich, dass ihm das nicht gefallen würde, aber Pastor Wallace hatte es ihm als Mensch angetan. Am Wochenende darauf kamen einige homosexuelle Männer in seinen Gottesdienst, und in der Woche darauf hatte sich ihre Zahl verdoppelt. Die Gemeinde wurde nervös und fragte, wie sie sich mit all diesen Homosexuellen in ihrer Umgebung verhalten sollten. Und Pastor Wallace erwiderte: ›Nun, lasst sie sich setzen.‹ Die Homosexuellen, sagte er, könnten sich ruhig zu den Ehebrechern, den Verleumdern und allen anderen anwesenden Sündern gesellen.«
Pastor Clive steht auf und geht zu seinem Schreibtisch. »Wir leben in einer seltsamen Welt, Max. Wir haben Megakirchen. Wir haben christliches Satellitenfernsehen, und christliche Bands sind in den Charts. Christus ist sichtbarer denn je. Warum also florieren überall die Abtreibungskliniken? Warum steigt die Scheidungsrate? Warum sehen wir überall Pornografie?« Er hält kurz inne, aber ich glaube nicht, dass er eine Antwort von mir erwartet. »Ich will dir sagen warum, Max. Weil die moralische Schwäche, die wir außerhalb der Kirche sehen, auch sie selbst durchdrungen hat. Schau dir doch nur einmal Ted Haggard oder Paul Barnes an. Wir haben in unserer eigenen Führung Sexskandale. Wir können uns nicht mehr zum kritischsten Thema unserer Zeit äußern, weil wir unsere moralische Autorität verloren haben – und das aus eigener Schuld.«
Ein wenig verwirrt runzele ich die Stirn. Ich verstehe noch immer nicht so recht, was das mit Zoe zu tun hat.
»Im Gebetskreis hören wir Menschen sagen, dass sie an Krebs leiden oder dass sie einen Job suchen. Wir hören nie jemanden beichten, dass er sich Pornografie im Internet anschaut oder dass er homosexuelle Fantasien hat. Und warum ist das so? Warum ist die Kirche nicht mehr sicher genug, um dorthin zu kommen, wenn man von der Sünde in Versuchung geführt wird – egal von welcher Sünde? Wenn wir diese Sicherheit nicht mehr garantieren können, dann sind wir mit dafür verantwortlich, wenn diese Menschen vom rechten Weg abkommen. Du, Max, weißt besser als jeder andere, wie es sich anfühlt, einfach nur an der Bar zu sitzen, wo niemand einen verurteilt, und alles einfach rauszulassen. Warum kann die Kirche nicht auch so ein Ort sein? Warum kann man nicht in eine Kirche gehen und sagen: Oh, Gott, du bist es nur. Cool. Jetzt kann ich ganz ich selbst sein. Natürlich heißt das nicht, dass man seine Sünden ignorieren soll, im Gegenteil: Man muss lernen, die Verantwortung für sie zu übernehmen. Verstehst du, worauf ich hinauswill, Max?«
»Nein, Sir«, gebe ich zu. »Nicht wirklich …«
»Weißt du, was dich heute zu mir geführt hat?«, fragt Pastor Clive.
»Zoe?«
»Nein. Jesus Christus.« Ein Lächeln erscheint auf Pastor Clives Gesicht. »Du bist zu mir geschickt worden, um mich daran zu erinnern, dass wir über eine einzelne Schlacht nicht den Krieg vergessen dürfen. Alkoholiker bekommen Orden, die sie daran erinnern sollen, wie lange sie schon trocken sind. Wir, die Kirche, müssen dieses Zeichen für die Homosexuellen sein, die sich ändern wollen.«
»Ich weiß nicht, ob Zoe sich ändern will …«
»Wir haben bereits gelernt, dass man einer schwangeren Frau nicht sagen kann, sie solle nicht abtreiben. Reden reicht nicht. Man muss ihr aktiv helfen und ihr die unterschiedlichen Möglichkeiten aufzeigen, von Beratung bis hin zur Adoption. Also reicht es auch nicht, einfach nur zu sagen, Homosexualität sei falsch. Wir müssen auch bereit sein, diese Menschen in die Kirche zu holen und ihnen den rechten Weg zu zeigen.«
Ich beginne zu verstehen, was der Pastor meint, wir müssen die Führung übernehmen. Es ist, als hätte Zoe sich im Wald verirrt. Ich kann sie ja zwar wahrscheinlich nicht dazu bringen, mir sofort zu folgen, aber ich kann ihr wenigstens eine Karte geben. »Glauben Sie, ich sollte mal mit ihr sprechen?«
»Ja, genau das denke ich, Max.«
Aber wir haben eine gemeinsame Geschichte.
Und ich bin noch nicht lange genug wiedergeboren, um wirklich überzeugend zu sein.
Und …
(Selbst wenn es mich schmerzt.)
(Selbst wenn es an meiner Männlichkeit kratzt.)
(Wer bin ich, ihr zu sagen, dass sie sich irrt?)
Vor allem Letzteres kann ich mir ja noch nicht einmal selbst
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