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Ein Lied für meine Tochter

Ein Lied für meine Tochter

Titel: Ein Lied für meine Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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meiner Stimme. »Alles okay mit dir?«
    »Du hast mir Angst gemacht, Max.«
    Sie kommt mir immer so zerbrechlich vor. So wie sie stelle ich mir Engel vor: fein, fast durchscheinend und viel zu hübsch, um sie längere Zeit anzusehen. Aber im Augenblick wirkt sie einfach nur wie ein gebrochener Mensch. Sie hat tiefe, halbmondförmige Ringe unter den Augen, ihre Lippen sind aufgeplatzt, und ihre Hände zittern, wenn sie nicht gerade eine Papierserviette zerpflückt. »Brauchst du Hilfe, um wieder ins Bett zu kommen?«, frage ich.
    »Nein … Alles okay.«
    »Willst du eine Tasse Tee?«, frage ich weiter. »Oder soll ich dir eine Suppe machen?«
    Sie schüttelt den Kopf, und ihr goldenes Haar wird hin und her geworfen.
    Es kommt mir irgendwie nicht richtig vor, mich zu setzen, wenn Liddy in ihrer eigenen Küche hockt und offensichtlich allein sein will. Aber einfach zu gehen, scheint mir auch falsch zu sein. »Ich könnte Reid holen«, schlage ich vor.
    »Lass ihn schlafen.« Sie seufzt, und ein paar Serviettenfetzen segeln zu Boden. Liddy bückt sich, um sie aufzuheben.
    »Oh«, sage ich und bin dankbar dafür, etwas zu tun zu haben. »Lass mich …«
    Ich knie mich auf den Boden, bevor sie das Papier erreichen kann, doch sie stößt mich weg. »Hör auf damit«, sagt sie. »Hör einfach auf!« Sie schlägt die Hände vors Gesicht. Ihre Schultern zittern, und ich weiß, dass sie weint.
    Da ich nicht weiß, was ich sonst tun soll, tätschele ich ihr zögernd die Schulter. »Liddy?«, flüstere ich.
    » Könnt ihr nicht endlich mal aufhören, so verdammt nett zu mir zu sein! «
    Mir klappt der Mund auf. In all den Jahren, seit ich sie kenne, habe ich Liddy noch nie fluchen hören.
    Sofort wird sie knallrot. »Tut mir leid«, sagt sie. »Ich weiß nicht, was … Ich weiß nicht, was mit mir los ist.«
    »Ich schon.« Ich setze mich ihr gegenüber. »Dein Leben. Es entwickelt sich nicht so, wie du es dir vorgestellt hast.«
    Liddy starrt mich einen langen Moment lang an, als hätte sie mich noch nie gesehen. Dann nimmt sie meine Hand. »Ja«, flüstert sie. »Genau das ist es.« Sie runzelt die Stirn. »Warum bist du überhaupt schon wach?«
    Ich ziehe meine Hand zurück. »Ich hatte Durst«, antworte ich und zucke mit den Schultern.
    »Vergiss nicht«, erinnert mich Pauline, als wir aus ihrem VW-Käfer steigen, »heute geht es nur um Liebe. Wir werden ihr den Boden unter den Füßen wegziehen, weil sie Hass und Vorurteile erwartet, aber das werden wir ihr nicht geben.«
    Ich nicke. Um ehrlich zu sein, war es mehr als schwierig, Zoe überhaupt zu diesem Treffen zu bewegen. Es kam mir irgendwie nicht richtig vor, mich unter einem falschen Vorwand mit ihr zu verabreden, ihr zu sagen, dass sie ein paar Dokumente unterschreiben oder dass ich finanzielle Fragen wegen der Scheidung mit ihr diskutieren müsse. Stattdessen rief ich sie mit Pastor Clive an meiner Seite an, der dafür betete, dass ich die richtigen Worte finden möge, und sagte, dass ich mich sehr gefreut hätte, sie im Supermarkt zu treffen. Das mit Vanessa habe mich sehr überrascht, sagte ich, und wenn sie ein paar Minuten Zeit hätte, würde ich mich gerne mal mit ihr zusammensetzen und reden.
    Zugegeben, ich habe nicht erwähnt, dass Pauline mich begleiten würde.
    Deshalb schaut Zoe auch von mir zu Pauline und runzelt die Stirn, als sie uns die Tür des fremden Hauses mit dem wunderbar gestalteten Vorgarten öffnet. »Max«, sagt sie, »ich dachte, du würdest allein kommen.«
    Es ist irgendwie seltsam, Zoe im Haus eines anderen Menschen zu sehen. Sie hält den Becher in der Hand, den ich ihr einmal zu Weihnachten geschenkt habe und auf dem MORGENMUFFEL steht. Hinter ihr liegt ein Haufen Schuhe auf dem Boden. Einige davon erkenne ich, andere nicht. Mir zieht sich die Brust zusammen.
    »Das ist eine Freundin von mir«, erkläre ich, »aus der Kirche. Pauline, das ist Zoe.«
    Ich glaube Pauline, wenn sie sagt, sie sei nicht mehr homosexuell, trotzdem habe ich ein komisches Gefühl, als die beiden sich die Hand schütteln. Ist da vielleicht ein Funkeln in ihren Augen, oder hält sie Zoes Hand einen Augenblick zu lang? Nein, da ist nichts.
    »Max«, verlangt Zoe zu wissen, »was ist hier los?«
    Sie verschränkt die Arme vor der Brust, wie sie es immer getan hat, wenn ein Hausierer vor der Tür stand und sie ihm klarmachen wollte, dass sie sich sein Gelaber nicht anhören würde. Ich öffne den Mund, um es ihr zu erklären, schließe ihn dann aber wieder, ohne

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