Ein Lied für meine Tochter
wir es auf einen Versuch ankommen … O Herr, ich bin nicht lesbisch! Und wenn Vanessa jetzt zur Tür hereinkommt, finde ich sie kein bisschen attraktiv, ja?«
Als hätte Zoe sie heraufbeschworen, kommt tatsächlich in diesem Augenblick Vanessa herein. Sie hat ihre Jacke noch nicht ganz ausgezogen. »Habe ich gerade meinen Namen gehört?«, fragt sie. Zoe geht zu ihr und küsst sie zur Begrüßung auf den Mund.
Als würden sie das immer tun.
Als würde mir das nicht den Magen umdrehen.
Als wäre das vollkommen natürlich.
Zoe schaut zu Pauline herüber. »Mist! Offenbar bin ich doch nicht geheilt.«
»Ich wusste ja gar nicht, dass wir Gäste erwarten.«
»Das ist Pauline, und Max kennst du ja«, sagt Zoe. »Sie sind hier, um dafür zu sorgen, dass wir nicht in die Hölle fahren.«
»Zoe«, sagt Vanessa und nimmt sie zur Seite, »können wir mal kurz miteinander reden?« Sie führt Zoe in die angrenzende Küche. Ich muss mich anstrengen, um etwas zu hören, aber ich kann beinahe alles verstehen, was sie sagen. »Ich werde dir nicht sagen, dass du niemanden ins Haus lassen sollst, aber was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?«
»Die sind wahnsinnig«, erwidert Zoe. »Überleg doch, Vanessa. Sie werden nie herausfinden, wie verrückt sie wirklich sind, wenn es ihnen niemand sagt.«
Es folgt ein kurzes Gespräch, es ist zu leise, als dass ich noch etwas verstehen könnte. Nervös schaue ich Pauline an. »Mach dir keine Sorgen«, sagt sie und tätschelt meinen Arm. »Leugnen ist vollkommen normal. Jesus fordert uns auf, sein Wort zu verbreiten, auch wenn es so aussieht, als falle es auf taube Ohren. Aber ich vergleiche Gespräche wie dieses immer mit dem Auftragen von Mahagonifarbe auf einen Parkettfußboden. Man reibt so lange, bis man die Flüssigkeit nicht mehr sieht, aber sie ist noch da. Wenn wir schon lange nicht mehr hier sind, wird Zoe beginnen, über unsere Worte nachzudenken.«
Aber wenn man Mahagonifarbe auf einem Pinienboden verreibt, dann ändert sich zwar das Aussehen, aber nicht der Kern, denke ich. Es wird kein Mahagoni daraus. Und ich frage mich, ob Pauline darüber je nachgedacht hat.
In diesem Moment kehrt Zoe wieder zurück, gefolgt von Vanessa. »Tu das nicht«, fleht Vanessa. »Wenn du mit einem Schwarzen ausgehen würdest, würdest du dann den Ku-Klux-Klan einladen, um das auszudiskutieren?«
»Also wirklich, Vanessa«, erwidert Zoe und winkt ab. Dann dreht sie sich zu Pauline um. »Tut mir leid. Was hatten Sie gerade gesagt?«
Pauline faltet die Hände im Schoß. »Ich glaube, wir haben gerade über mein Erwachen gesprochen«, sagt sie, und Vanessa schnaubt verächtlich. »Mir wurde bewusst, dass ich aus mehreren Gründen anfällig für homosexuelle Verführungen war. Meine Mutter war ein Bauernmädchen aus Iowa, jene Art von Frau, die um vier Uhr morgens aufsteht und schon vor dem Frühstück die Welt verändert hat. Sie hat geglaubt, Hände seien zum Arbeiten da und dass man schwach sei, wenn man fällt und weint. Mein Dad war viel unterwegs und einfach nie da. Ich war immer nur mit den Jungs zusammen. Ich wollte lieber Football mit meinen Brüdern spielen als drinnen mit Puppen. Und da war mein Vetter, der mich sexuell missbraucht hat.«
»Natürlich«, murmelt Vanessa.
»Nun«, fährt Pauline fort und schaut Vanessa an, »jeder angeblich Homosexuelle, den ich kennengelernt habe, ist auf die ein oder andere Art missbraucht worden.«
Verlegen sehe ich Zoe an. Sie ist nicht missbraucht worden. Das hätte sie mir erzählt.
Andererseits hat sie mir auch nicht erzählt, dass sie Frauen mag.
»Lassen Sie mich raten«, sagt Vanessa. »Ihre Eltern haben Sie nicht gerade mit offenen Armen willkommen geheißen, als Sie ihnen gesagt haben, dass Sie lesbisch sind.«
Pauline lächelt. »Ich habe jetzt eine wunderbare Beziehung zu meinen Eltern. Wir haben so viel gemeinsam durchgemacht … Himmel, es war ja nicht ihre Schuld, dass ich mich als homosexuell verstanden habe. Aber der Missbrauch war natürlich nicht der einzige Grund. Ich war einfach unsicher, was meine Rolle als Frau betraf, und ich hatte stets das Gefühl, als Frau nur ein Bürger zweiter Klasse zu sein. Aus all diesen Gründen habe ich begonnen, mich auf eine bestimmte Art zu verhalten. Auf eine Art, die mich von Christus weggeführt hat. Sagen Sie mir eins«, wendet sie sich wieder an Zoe. »Warum, glauben Sie, waren Sie für eine homosexuelle Beziehung offen? Sie sind ja offensichtlich nicht so geboren worden, da Sie
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