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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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ausmachte, dachte sie, ärgerlich, dass sie Georg nachgegeben hatte, und war froh über den Wind, denn diesmal brachte sie die Maschine knapper hoch, als sie geplant hatte. Es war nicht mehr als ein halber Meter zwischen den Fichtenkronen und dem Rumpf der Maschine, als sie am Waldrand hochzog. Aber dann stiegen sie gleichmäßig in den makellosen Spätsommerhimmel. Georg zeigte nach oben. Luise sah weit über ihnen die Sonntagsmaschine der Lufthansa ihre Bahn kreuzen. Die flogen nach Italien. Für einen Augenblick dachte Luise daran, wie es wäre, einfach weiterzufliegen. Fort von hier. Sie und Georg. Über die Alpen. Erst nach Italien. Dann nach Spanien. Und dann … Afrika. Aber dann musste sie über sich selbst lächeln. Sie hatte keinen Pass, kein Geld, gar nichts. Sie hatte nur das Flugzeug und zwanzig Liter Benzin.
    Sie stiegen noch immer. Luise wollte zwar nicht zu hoch fliegen, aber doch ein ganzes Stück über den Dörfern. Am liebsten hätte sie das Lu 1911 schon längst übermalt, damit man es von unten nicht erkennen konnte, aber andererseits brachte sie es nicht übers Herz. Es war so eine schöne Geste von Georg gewesen. Sie flog jetzt, nur mit dreiviertel Gas, ganz gemächlich durch den leeren Himmel. Ein paar Schwalben begleiteten sie ein Stück, flogen spielerisch um die Maschine herum und stiegen dann wieder weiter auf oder ließen sich fallen, leicht und mühelos. Unter ihnen zogen die Felder. Der Weizen leuchtete in der Sonne und bewegte sich unter der Brise sacht wie ein kaum bewegtes Meer. Sie überflogen ein Birkenwäldchen, dann, viel dunkler, einen ausgedehnten Fichtenforst. Links unten zog eine Lokomotive puffend nach Norden. Die weißen Dampfwolken lösten sich auf, sobald sie den Schornstein verließen. Hier oben sah man alles scharf und genau, das ganze Land, aber man hörte nichts außer dem Tosen des Windes und dem Lärm des Motors.
    Sie machte einen Bogen um Eichstätt, sah auf die Uhr und flog weiter. Sie lagen gut in der Zeit, und es war erst halb sechs, als der Steinbruch in Sicht kam und sie auf die Straße hinunterging. Sie hatte sie ganz bewusst ausgesucht, weil sie wegen der Lastkraftwagen von und zum Steinbruch so schön breit angelegt war. Es gab einen sanften Stoß, sie nahm Gas weg und rollte noch ein paar Meter. Sie musste nicht wenden, damit Georg gegen den Wind starten konnte, denn die Straße zum Steinbruch war lang genug, um dreimal abzuheben. Sie ließ den Motor laufen, gurtete sich ab und stieg auf einen der Flügel.
    »Du sitzt auf dem falschen Platz«, rief sie Georg lachend zu, »das ist kein Motorrad!«
    Georg kletterte aus seinem Sitz, aber bevor er nach hinten auf den Pilotensitz glitt, legte er rasch den Zeigefinger auf seine und dann auf ihre Lippen. Ein schneller, aufgeregter Kuss. Luise hob beide Daumen. Sie war auch aufgeregt. Dann nahm sie noch rasch den Kanister heraus, ließ ihn vom Flügel herab ins Gras fallen, schwang sich über die Bordwand in ihren Sitz, gurtete sich an und holte tief Luft. Jetzt galt es!
    Georg gab Gas, der Propeller reagierte und begann zu ziehen. Mehr Gas!, dachte Luise, aber da geschah es schon, und sie nahmen Fahrt auf. Immer schneller holperten die Reifen über die Straße, immer ruckeliger zuckten die Flügel, »Mehr Gas!«, schrie Luise, ihr kam es noch immer zu langsam vor, aber da sah sie schon die Drahtseilzüge sich spannen, die Ruder klappten, und sie stiegen.
    »Zu steil!«, schrie Luise. Georg hatte es auch schon gemerkt, gab nach, gerade noch rechtzeitig, die Maschine sackte kurz durch, doch dann fing sie sich, und sie stiegen gleichmäßig.
    O mein Gott, dachte Luise und merkte erst jetzt, wie heftig sie die Hände in die Bordwand gekrampft hatte und wie sehr sie auf einmal schwitzte. Aber langsam schien Georg ein Gefühl dafür zu bekommen. Sie stiegen weiter, das Schlimmste war überstanden. Bis zur Landung zumindest. Schlimmstenfalls machten sie eben Bruch. Starten hatte sie immer gefährlicher gefunden.
    Georg ging in den Geradeausflug über. Sie drehte sich zu ihm um. Er war ordentlich blass geworden, aber nun hob er etwas zaghaft den Daumen und lächelte unsicher. Die Anspannung fiel plötzlich von ihr ab. Er flog! Und sie hatte es ihm beigebracht! Sie musste lachen, ohne wirklich zu wissen, warum. Vielleicht einfach vor Freude.
    »Fürs erste Mal«, schrie sie, »nicht ganz schlecht!«
    Georg schrie zurück: »Bitte nicht mit dem Fahrer sprechen!«, und sie drehte sich wieder um, immer noch lachend.
    Er flog

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