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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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Hunger.«

    Obwohl er so abgemagert war, aß er nur wenig. Luana hatte rasch eine Suppe gekocht, ein paar Reste vom Vortag aufgewärmt und Brot dazugestellt. Luise sah zu, wie er sich setzte und zu essen begann. Erst mit einiger Verspätung wurde ihr bewusst, dass er nicht gebetet hatte, aber schließlich war es auch kein Mittagessen wie sonst. Er aß schweigend. Luana und Luise sahen ihm zu, aber beide wussten nicht, worüber sie reden sollten. Als er etwa die Hälfte gegessen hatte, stand er auf.
    »Ich bin sehr müde«, sagte er, »ich lege mich etwas hin.«
    Er verließ das Esszimmer, und man hörte ihn zu seinem Büro gehen. Luana und Luise sahen sich betroffen und verunsichert an.
    »Man muss ihm Zeit geben«, sagte Luana dann und begann, den Tisch abzuräumen. Luise nickte nur.

    Er schlief bis weit in den Nachmittag. Später kam er an den Tisch, als Luana und Luise Kaffee tranken und nahm auch eine Tasse. Er wirkte nicht mehr ganz so verloren wie bei seiner Ankunft, aber er sprach nicht viel.
    Dann sah er auf die Uhr an der Wand und sagte: »Ich muss jetzt zur Wache und mich melden. Jede Woche von jetzt an. Sie sorgen für ihre Schäflein.«
    Er sagte es nicht ironisch, sondern sehr bitter.
    »Soll ich dich begleiten?«, fragte Luise, obwohl der Gedanke, heute noch einmal zur Wache zu gehen, sie nicht gerade erheiterte.
    Papa schüttelte den Kopf. »Ich gehe allein.«
    Als er fort war, begann ihre Bestürzung über seinen Zustand endlich ein wenig der Erleichterung zu weichen. Er würde sich erholen. Andererseits musste Luise jetzt auch wieder an Junge denken und die Stelle, die sie nicht bekommen würde. Sie wusste nicht, was sie tun sollte – sie konnte ja nicht ewig im Pfarrhaus wohnen bleiben. Aber wenn Paul und Luana tatsächlich nach Brasilien gingen, dann wäre er allein. Das war auch kein schöner Gedanke. Sie fühlte sich müde und sehnte sich nach Georg. Sie hätte jetzt sehr gerne mit ihm gesprochen, ihm alles erzählt.
    Wie schnell das ging, dachte sie, dass er ihr Vertrauter geworden war. Dass sie sich ihm so öffnen konnte. Aber sie kannten sich ja auch schon so lange, dass es leicht war, sich zu lieben. Das zumindest war ein Trost.

    Der Sonntag brachte schönes Wetter. Wieder kündete der Morgenhimmel einen klaren, spätsommerlich heißen Tag an. Als Luise nach unten kam, war sie sehr überrascht, ihren Vater im Talar zu sehen.
    »Gehst du … ich dachte …« Sie brachte den Satz nicht zu Ende.
    »Ich bin nicht krank«, erwiderte ihr Vater verschlossen. Luise eilte wieder nach oben, um sich für die Kirche anzuziehen. Sie würde ihn nicht alleine hingehen lassen. Als sie die Treppe hinunterstieg, kam Paul aus seinem Zimmer. Auch er hatte einen Sonntagsanzug an.
    »Gehst du mit?«, fragte Luise.
    Paul nickte.
    Es schien sich sehr rasch herumgesprochen zu haben, dass Pfarrer Anding wieder da war. Die Kirche war gesteckt voll. Luise und Paul mussten auf die Empore, um einen Platz zu finden.
    »Weswegen sind die da?«, fragte sie Paul leise.
    Der zuckte mit den Schultern und antwortete abfällig: »Neugierde? Sensationslust?«
    Luise musterte die Leute von oben. Ja. Die meisten waren sicherlich gekommen, weil sie wissen wollten, ob wieder so etwas passieren würde wie vor zwei Monaten. Ob der Pfarrer wieder einen Skandal provozieren würde. Aber manche, dachte Luise, manche waren vielleicht auch da, um ihm zu zeigen, dass sie im Geheimen seiner Ansicht waren. Und dann entdeckte sie jemanden, dessen Anblick sie überraschte. Sie stieß Paul an und deutete nach unten. Ziemlich weit hinten, so, dass sie ihn von oben gerade noch erkennen konnten, saß der alte Feinmann. Ein Jude in einem christlichen Gottesdienst. Luise sah, dass es in Pauls Gesicht arbeitete.
    »So mutig«, sagte er dann erstickt, und Luise hörte aus diesen zwei Worten die Bewunderung heraus, aber auch diese unausgesprochene Scham, dass er selbst, dass sie nicht so mutig waren wie dieser alte Mann.
    Die Orgel setzte ein. Wenn die Leute eine Sensation erwartet hatten, dann wurden sie enttäuscht. Es war ein Gottesdienst, der nichts, aber auch gar nichts Besonderes an sich hatte, außer dass ihr Vater die Liturgie nicht sang, sondern sprach. Aus der Predigt konnte man nicht einmal mit bösem Willen irgendetwas Politisches heraushören. Der Predigttext stammte aus der Apostelgeschichte; Petrus’ Heilung des Lahmen, der von seiner Familie täglich vor die Tempeltür gesetzt wurde, um zu betteln.
    »Es ist kein Gleichnis, diese

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