Ein Lord mit besten Absichten
wohin sie gegangen sein könnte?«
»Nicht die leiseste. So wie es aussieht, macht sie sich große Sorgen um sie. Ach, Tolly, ich dachte mir schon, dass wir dich früher oder später treffen würden. Komm, setz dich zu uns.«
Sir Hugh zog einen weiteren Sessel heran und drehte ihn so, dass er jeden, der vorbeiging, im Auge behalten konnte, ehe er sich mit übertriebenem Getue um seine pfirsichfarbene Weste und die karamellfarbene Jacke setzte. »Rosse, Weston. Ich habe mich schon gefragt, ob du dir dein ungeahntes Glück zunutze machen würdest, Weston.«
»Welches Glück?« Noble zog genüsslich an seiner Zigarre und versuchte, nicht gelangweilt zu wirken.
»Na ja, den plötzlichen Meinungsumschwung natürlich! Du und die Amazone sind
das
Gesprächsthema schlechthin! Du hast doch sicher schon davon gehört, Noble. Jeder spricht über
den Kuss
.«
Noble wölbte eine seiner Brauen. »
Den Kuss?
Welchen Kuss?«
Rosse schmunzelte, als Sir Hugh sein akribisch geknotetes Halstuch um eine Winzigkeit nach rechts verschob. »Ich muss mir allmählich Gedanken darüber machen, ob ich den alten Hudson entlasse. Er nimmt es leider nicht mehr so genau, wie er eigentlich sollte. Der Kuss, Mann. Der, den sie dir gestern Abend vor aller Augen beim Ball der Countess Lieven gegeben hat!«
Noble gab dem Drang nach und blickte nun doch gelangweilt drein. »Es fällt mir schwer zu glauben, dass eine spontane Zuneigungsbekundung meiner Frau gleich so einen Wirbel verursacht, Tolly.«
Der Baronet verzog verächtlich das Gesicht. »Genau das ist aber dabei herausgekommen. Ihre Handlung, so übereilt und anstößig sie auch gewesen sein mag, hat dafür gesorgt, dass sie … dass ihr beiden … die Lieblinge der Saison seid. Alle Welt hat Freude an Liebhabern und dem ganzen Drumherum.«
Rosse lachte über das verdrießliche Gesicht des Earls. »Da haben wir dich schließlich in einer Rolle, in der ich dich nie vermutet hätte, Noble. Der leidenschaftliche Liebhaber, der nicht einmal für die Dauer eines Abends die Finger von seiner Frau lassen kann.«
Ein mattes Rot legte sich auf Westons Wangen.
»Das ist einfach nur schockierend!«
Der ungewöhnlich heftige Tonfall Sir Hughs erstaunte die beiden Männer. »Ich meine … nicht dass du plötzlich zum Liebling der Gesellschaft geworden bist, sondern dass ihr … dass deine Frau … du musst doch zugeben, Weston«, stotterte er, »dass ihr Benehmen eher zu einer Hure als zu einer Countess passt.«
Nobles schmale Augen funkelten silbrig, während sie Sir Hugh in seinen Sessel bannten. »Du sprichst hier von meiner Frau, Tolly. Ich warne dich noch einmal, pass auf, was du sagst, wenn du von ihr redest.«
Sir Hugh hob unterwürfig die gespreizten Hände. »Ich wollte deine Frau keineswegs beleidigen, Weston, ganz bestimmt nicht. Als einer deiner ältesten Freunde möchte ich einfach nur verhindern, dass sie – natürlich nur aus Versehen – etwas tut, das deinen Ruf noch mehr beschädigt, als er ohnehin schon ist. Gott ist mein Zeuge, dass ich mir schon ein Bein ausgerissen habe, um für dich die Dinge wieder ins Lot zu bringen …«
Noble gab mit einer kurzen Geste zu verstehen, dass das Thema erledigt war, und blickte auf die Uhr auf einem Tisch in der Nähe. »Entschuldigung angenommen. Ich habe gleich noch eine Verabredung, Tolly. Wenn du gestattest, würde ich mir vorher gern noch anhören, was Harry zu sagen hat.«
Der Baronet errötete und warf ihm einen undurchdringlichen Blick zu, ehe er sich mit einer fast schon als bockig zu bezeichnenden Haltung in den Sessel zurücklehnte.
»Wo warst du stehengeblieben, Harry?«
»Ähm.« Rosse runzelte fragend die Stirn. Weston verstand sofort. »Tolly, ich kann mich doch darauf verlassen, dass das, was hier gesagt wird, unter uns bleibt?«
Sofort verschwand der bockige Ausdruck aus Sir Hughs rundem Gesicht. »Selbstverständlich, mein Ehrenwort. Was ist denn das große Geheimnis?«
»Harry hat ein paar Nachforschungen für mich angestellt. Es scheint, als ob mir jemand Böses will und daher vor Kurzem des Nachts versucht hat, mich festzuhalten.«
Sir Hugh klappte die Kinnlade herunter. »Nein! Wo? Wann? Was ist geschehen? Großer Gott, du wurdest doch nicht etwa verletzt, Mann, oder?«
Weston erzählte die Geschichte mit wenigen prägnanten Sätzen.
Sir Hugh räusperte sich und legte eine Hand auf den Arm seines älteren Freundes. »Was auch immer ich für dich tun kann, Noble. Ich stehe dir voll zu Diensten. Und
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