Ein Lord mit besten Absichten
Frucht noch zwischen den Lippen, drehte Gillian leicht den Kopf. Noble atmete ihren süßen Duft ein, der sich mit dem erdigen Geruch der Beeren paarte, kurz bevor seine Zunge auf ihre Haut traf. Er folgte dem Pfad des Saftes bis zur Quelle und verharrte mit einem tiefen Blick in Gillians unergründliche Augen.
»Abbeißen?«, nuschelte sie mit ihrer rau klingenden Stimme, die tief in seinem Innern nachhallte wie die Saite einer Harfe, die noch lange, nachdem sie gezupft worden war, zitterte.
Gillians Lippen öffneten sich. Ihre Zunge ließ einen Teil der Frucht in der köstlichen Tiefe ihres Mundes verschwinden. Noble war sicher, dass er sterben müsste, wenn er dieses Stück nicht vor ihr kostete. Er umklammerte die Armlehnen ihres Stuhls und beugte sich drängend über sie, als er von ihrem Mund und der Erdbeere Besitz ergriff.
Er wurde hart wie Granit. Ihre Zungen neckten und umschlangen sich, tanzten miteinander und versetzten Noble in einen Rausch. In den hintersten Winkeln seines Verstandes setzte das leise Läuten von Warnglocken ein, als er seine Zunge durch ihren seidig weichen Mund gleiten ließ und die Erdbeere kostete, als er Gillian kostete, das Paradies kostete. Er wollte sie an sich reißen, sehnte sich danach, sich in ihre Wärme zu hüllen, sich aus ihr zurückzuziehen, um wieder einzutauchen, in ihre Hitze, in Gillian. Er verlangte nach der Wärme, die das Licht nährte, das so tapfer in ihm brannte. Er wollte sie jetzt.
»Hier kommt Ihr Fisch … äh … nehmt ’n wieder mit, Jungs. Seine Lordschaft hat kein’ Hunger mehr.«
Noble riss sich von Gillian los und sah gerade noch Crouchs unverschämtes Grinsen, ehe sich die Tür schloss. Er fühlte sich wie mit einem Eimer Eiswasser übergossen und blickte zu Gillian, auf seine weißen Finger, die sich links und rechts von ihr um die Stuhllehnen klammerten. Gillians Atem ging stockend, ihre Augen loderten vor Leidenschaft. Er versuchte, zu schlucken, doch er schaffte es nicht.
»Lecker, nicht wahr?«, fragte Gillian heiser, griff nach dem Stück Erdbeere, das Noble noch zwischen den Lippen hielt, und steckte es sich in den Mund.
»Was liest du denn da so gebannt?«, wollte Noble einige Minuten später wissen, als es ihm endlich gelungen war, nicht mehr ständig an sein körperliches Verlangen zu denken.
»Eine wirklich faszinierende Abhandlung, die ich heute während des Morgenspaziergangs mit Piddle und Erp einem Mann abgekauft habe. Ihr Titel lautet
Himmlische Stimulation der Organe
und erklärt, wie man wieder zu jugendlich elastischen und gesunden Organen kommt, indem man seine Körpersäfte mithilfe von speziellen Ölen aus Arabien und milden, ätherischen Substanzen reinigt und wieder ins Gleichgewicht bringt.«
Noble hielt seinen Blick bewusst von ihr fern, als sie nach der nächsten Erdbeere langte und er sie fragte, ob sie krank sei.
»Nein, aber du.«
Ihre Antwort ließ ihn aufblicken.
»Mir ist nicht entgangen, wie unruhig du letzte Nacht warst. Und als ich dich heute Morgen fragte, warum du so eigenartig mürrisch aussiehst, hast du geantwortet, du hättest Kopfschmerzen. Nach dem, was Dr. Grahams hier schreibt, sind das alles Anzeichen dafür, dass deine Organe Unterstützung brauchen.«
Noble erinnerte sich an die Qualen der letzten Nacht, Qualen, die er sich selbst auferlegt hatte, weil er seiner Frau zeigen wollte, dass er mehr als nur ein von Lust getriebenes Biest war, das seine Wünsche und Begierden über das Schlafbedürfnis seiner Frau stellte.
»Es geht mir gut, Liebes, sei unbesorgt«, erwiderte er, was glatt gelogen war. Er
war
ein von Lust getriebenes Biest. Er wollte sie, brauchte sie, musste sie haben. Genau in diesem Moment. »Meine Organe brauchen keine Stimulation, weder himmlischer noch sonstiger Art. Aber ich glaube, wir haben unsere Unterhaltung über den richtigen Weg, wie man sein Leben in geordnete Bahnen lenkt, noch nicht beendet.«
Gillian blickte ihn erstaunt an. »Meinst du etwa deinen Vortrag von gestern Abend?«
»Genau den. Du sahst müde aus, darum habe ich den Rest unserer Diskussion auf heute vertagt.«
Gillian seufzte. Während sie ihren Mund betupfte, lehnte sie sich in den Stuhl zurück und legte sittsam die Hände in den Schoß. »Also gut, Noble, wenn es dich glücklich macht, darfst du deinen Vortrag jetzt fortführen.«
»Danke. Nun, was die …«
»Dass mein Leben unorganisiert und strukturlos sein soll, erstaunt mich jetzt allerdings doch etwas.«
»Es ist aber so,
Weitere Kostenlose Bücher