Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
Angelegenheit eben nicht ›ein für alle Mal‹ beenden. Wir können keine Entscheidungsschlacht herbeiführen – wir könnten es nicht einmal, wenn wir eine Armee hätten. Wir können Plothar nicht töten, denn ein anderer würde seinen Platz einnehmen. Wir können nicht in die Hauptstadt reisen und alle unsere Gegner ermorden, denn dieser Akt allein würde uns neue Gegner erwachsen lassen. Es gibt keinen Abschluss, Woldan. Es gibt kein reinigendes Gewitter, das uns Frieden und Ruhe bringt, klare Verhältnisse, ausgeräumte Konflikte, ein Ende allen Hasses, ein Schlussstrich unter die Vergangenheit. All dies gibt es nicht.«
Woldan sah ausgesprochen unglücklich aus. Keines meiner Worte heiterte ihn auf. Er schaute Selur an, der gleichfalls wenig von seiner sonst so ansteckenden Fröhlichkeit zeigte. Um Selur machte ich mir keine Sorgen. Er lebte dermaßen in den Tag hinein, dass Abschlüsse und Enden für ihn immer lediglich ein abstraktes Konzept blieben. Die Geliebte, die ihn heute hinauswarf, mochte morgen wieder ihre Schenkel öffnen. Der Wirt, dem er heute Geld schuldete, würde morgen seine Bestellung ausführen. Der Feind, der ihm heute zusetzte, war bald tot – oder sein Freund. Selur war kein Philosoph. Aber er erwartete nicht das vom Leben, von menschlicher Existenz, wonach Woldan nun strebte und was dieser offenbar brauchte. Ich konnte Woldan gut verstehen, besser als die vagabundierende Einstellung Selurs. Ich fühlte ja oft ähnlich. Aber mein Verständnis, entsprungen meinem eigenen Bedürfnis nach Ruhe und Frieden, vernebelte nicht meine Erfahrungen und meinen Blick auf die Realitäten des Lebens. Woldan wusste es eigentlich auch besser.
Er war nur bockig.
Ich nahm es ihm nicht übel.
Ich war selbst oft bockig.
»Was willst du damit sagen, Hauptmann?«, fragte er dann, als ob er es nicht verstanden habe. Ich öffnete den Mund, doch Frederick erhob für mich das Wort und ich überließ es ihm mit einem dankbaren Blick.
»Er will uns damit sagen, dass wir nicht nach Bell reiten und Plothar zur Rede stellen können. Wir können keinen Bürgerkrieg beginnen und wir können die große Politik in der Hauptstadt nicht mit einem Schlag ändern. Er will uns damit sagen, dass uns dieser Konflikt bis ans Ende unserer Tage begleiten könnte, immer vor sich hin brodelnd, mal heiß, mal lauwarm, und dass wir nur manchmal den Eindruck haben werden, es habe sich erledigt, nur um kurz darauf wieder in unser Bewusstsein zu treten. Und daher muss unsere Strategie nicht sein, einen Sieg zu erringen, sondern stattdessen …«
Der Kastellan hielt inne, vorangetragen von der Kraft seiner eigenen Worte bis zum Abgrund, in den er beinahe gefallen wäre – denn er wusste nicht, was stattdessen getan werden musste. So weit war ich mit meinen Erläuterungen nämlich bisher noch gar nicht gekommen.
Ich nickte Frederick zu und übernahm wieder. #»Wir werden stattdessen unsere bescheidenen Machtmittel dafür einsetzen, ein vorläufiges Gleichgewicht herzustellen«, sagte ich.
»Ein Gleichgewicht?«, echote Woldan und ihm war der Zweifel überdeutlich anzusehen. »Willst du dauerhaft Söldner rekrutieren? Wir haben das Geld nicht.«
Ich schüttelte sachte den Kopf. »Du denkst zu sehr in Schwertern und Soldaten. Ich mache dir das nicht zum Vorwurf. So haben wir über viele Jahre gelebt und es hat uns gedient. Wir haben überlebt, weil wir so gedacht haben. Jetzt aber führen wir eine andere Art von Krieg.«
»Die Schlacht um die Mine war etwas ungewöhnlich, aber erinnerte mich doch stark an die Art von Krieg, die uns wohlbekannt ist, Hauptmann«, erwiderte Woldan.
»Ja, aber damals haben wir ausgeführt, was die Politik uns als Entscheidungen vorgesetzt hat. Heute ist dieser Krieg von der Art, dass wir gleichzeitig Ausführende wie Entscheider sind. Und wenn wir kluge Entscheidungen treffen, müssen wir weniger Leben für die Konsequenzen unseres Handelns aufs Spiel setzen.«
»Also Politik«, murmelte Selur und spielte dabei mit einem halb angebissenen Apfel herum.
»Politik ohne Krieg, ohne das große Töten und ohne die Aussicht …« Hierbei fasste ich Woldan erneut in den Blick. »… dass es jemals ein Ende nehmen wird.«
Woldan schwieg.
»Das gibt es nur im Märchen«, sagte Selur leise. »Der Ritter kommt und besiegt das Monster. Alles ist gut. Doch schau uns an, Woldan. Wir haben das Monster besiegt – und wen treffen wir bei unserer Schlacht wieder? Hacke einen Schädel ab, es wächst ein neuer,
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