Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
Woldan stationiert hatte. Ich schlug ihm auf die Schulter. Natürlich war er bestens informiert. +
Ich nahm ihm das Schreiben ab, doch Selur fragte sofort: »Was ist passiert?«
»Der Graf zu Bell ist tot. Im Winter ergriff ihn ein plötzliches Fieber, er litt ein oder zwei Wochen, dann starb er. Wir haben es erst jetzt erfahren. Hier im Norden reisen die Neuigkeiten langsam und der Statthalter fand es nicht so eilig, die Geschichte hinauszuposaunen.«
»Natürlich«, schnaubte Selur. »Er ist nur so lange Statthalter, bis der Kaiser einen neuen Grafen ernennt. Also hat er es nicht eilig.«
Ich nickte und runzelte die Stirn. »Der einzige Sohn des Grafen starb im Krieg, also ist das Amt vakant.« Ich erinnerte mich an die wehmütig-traurige Schilderung des alten Mannes auf dem Weg nach Tulivar, scheinbar vor einer Ewigkeit, tatsächlich aber nur ein knappes Jahr her.
»Der Kaiser hat einen Nachfolger benannt, und der hatte es eilig, es überall kundzutun, daher wissen auch wir nun davon«, kam Erion mit der zweiten Neuigkeit heraus. Er sagte dies mit einem bekümmerten Gesichtsausdruck, was mein Unwohlsein, das sich nach seiner ersten Ankündigung bereits eingestellt hatte, nur noch verstärkte.
Ich steckte das Schreiben achtlos ein. Erion wusste das Wichtigste auch so zu berichten.
»Der neue Graf heißt Plothar zu Bell.«
Ich schloss die Augen.
»Wir reden von dem Plothar?«, vergewisserte ich mich langsam.
»Woldan wusste, dass Ihr das sagen würdet, Hauptmann«, erwiderte Erion freudlos. » Der Plothar, ja.«
Selur sah mich verwirrt an. »Da habe ich wohl etwas nicht mitbekommen.«
»Das war etwas vor deiner Zeit«, informierte ich ihn. »Plothar ist ein Neffe des jetzigen Familienoberhauptes der Levellianer und hat im Krieg als Offizier gedient. Er war gar kein schlechter Soldat, aber ein unausstehliches Arschloch und ich bin ein paar Mal mit ihm aneinandergerasselt.« Ich holte tief Luft. »Das Problem ist, dass das bei wichtigen strategischen Treffen war, in denen die Generale meist mir und nicht ihm recht gegeben haben. So was kann ein hochwohlgeborener Levellianer gar nicht leiden. Er hat es meistens persönlich genommen, musste sich aber arg zurückhalten, wollte er seine eigene Karriere nicht gefährden.«
Ich blickte nun grimmig drein. »Dass ausgerechnet der gute Plothar nun Graf zu Bell wird, ist natürlich kein Zufall.«
Erion nickte. »Das hat Woldan auch gesagt.«
Ich legte dem Mann eine Hand auf die Schulter. »Geh rein und iss was, ehe du zurückreitest. Ich bereite ein Schreiben an Woldan vor. Ich muss mehr wissen.«
Erion grinste. »Woldan wusste, dass Ihr auch das sagen würdet, Hauptmann!« Und damit wandte er sich ab und marschierte in Richtung Küche.
Selur sah mich fragend an. »Und was jetzt?«
Ich holte tief Luft. »Ich muss jetzt etwas tun, was mir absolut nicht behagt und was ich so lange wie möglich hatte hinausschieben wollen. Aber es ist wohl tatsächlich unausweichlich.«
Selur verzog das Gesicht. »Sag es nicht, Hauptmann. Das ist widerlich!«
Ich nickte gemessen. »Doch, doch, mein Freund.« Ich holte das Schreiben Woldans aus der Tasche und wog es in der Hand.
»Ich muss jetzt Politik machen.«
31 Strategie des Gleichgewichts
Woldan wollte einfach nicht einsehen, dass niemals jemals etwas wirklich endete, sondern dass alles immer nur eine Weile innehielt, ehe es wieder losging.
Ich konnte gut verstehen, warum er das nicht akzeptierte. Er hatte nach langer Wanderschaft an meiner Seite einen Abschluss gefunden. Seine tote Familie war durch eine neue ersetzt worden. Er hatte ein Haus und eine Position in der kleinen Gesellschaft von Tulivar. Er war angekommen und fing an, Wurzeln zu schlagen. Er hatte Kapitel geschlossen, Lebensabschnitte abgerechnet. Er wollte nicht, dass manche Angelegenheiten diesen Abschluss gefährdeten und ihn daran erinnerten, was er für beendet erklärt hatte.
Doch das Schicksal störte sich nicht daran, wenn Woldan etwas beschloss. Es holte einmal tief Luft, und manchmal währte dieser Atemzug für uns Sterbliche viele Jahre. Aber dann wurde ausgeatmet, und der sich daraus entwickelnde Sturm erinnerte uns daran, dass es eben doch nur eine Pause gewesen war, eine kurze Gnade, aber kein Ende.
Ich fand das auch nicht toll. Allerdings hatte ich begonnen, mich damit zu arrangieren. »Und deswegen, mein guter Freund«, sagte ich leise und bemühte mich, den Unwillen in seinem Blick zu ignorieren, »können wir diese
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