Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
meinem Haus sitzen, gelegentlich Gericht halten, den Flammen im Kamin zuschauen, meine Frau mit meiner ausdauernden Männlichkeit beglücken und gut essen und trinken. Ich hatte meine Heldenphase hinter mir. Ich wollte niemanden mehr umbringen, retten oder das Schicksal herausfordern, es abwenden, ihm ins Gesicht lachen oder vergleichbare Albernheiten begehen. Mein Ziel war es, dass Hintern und Bauch proportional zu denen meiner Frau breiter wurden, mein Haar grau, meine Augen wässrig, mein Mund zahnlos – und Letzteres, ohne dass mir jemand dafür eine reinhauen musste.
Ich wollte doch nur meine Ruhe.
Aber was geschah?
Ich wurde gefangen genommen, musste entfliehen, stritt gegen Söldner, band magische Bande, kämpfte gegen Bergkrieger und wurde Opfer politischer Intrigen. Kaum hatte ich all dies mit mehr Glück als Verstand überlebt, zwang mich der Gang der Geschehnisse, den heimatlichen Kamin erneut zu verlassen und wieder, oh ihr Götter, auf Reisen zu gehen, ins Ungewisse, einem möglichen Feind entgegen und Kampf und Ruhm und … Es war wirklich zum Kotzen.
Ich hasste mich selbst für mein Pflichtbewusstsein. Ich wusste aber auch, dass all dies unvermeidlich war. Die Ruhe, die ich suchte, war eine Illusion. Es gab sie nicht für jemanden wie mich, der sich Lord zu Tulivar nannte.
Ich hatte überlegt, ob die Reise in den Norden doch anzutreten sei, und mich lange mit den Meinen beraten. Der nächste Hafen war in der Grafschaft zu Bell, und ich hätte dorthin zu reisen und ein Schiff zu mieten, anstatt mich bereits jetzt mit der schwierigen Aufgabe zu befassen, den verlassenen Fischerhafen meiner eigenen Baronie wieder aufzubauen und selbst Schiffseigner zu werden. Es war auch die preiswertere Alternative. Doch es widerstrebte mir, diese Reise bereits jetzt zu wagen, da sich keine unmittelbare Notwendigkeit ergab und so viele Aufgaben daheim auf mich warteten.
Ich wollte keinen angreifen, nichts erobern, sondern einfach nur wissen, was sich da im Norden, jenseits meiner nun wiederhergestellten Grenze, eigentlich tat. Ich hoffte, nicht allzu viel. Ich beschloss, die Sache vorläufig auf sich beruhen zu lassen. Wer immer dort lebte, er würde seine Schlussfolgerungen aus der Katastrophe an der Mine gezogen haben. Ob die Levellianer aber zu ähnlichen Konsequenzen kamen?
Die Rückeroberung der Grenze hatte zu dem Effekt geführt, den ich erwartet hatte. Ein Teil der Bewohner von Felsdom hatte sich in Tulivar gut eingelebt und Freunde gefunden, man war über die Gesellschaft froh und viele, vor allem die Jüngeren, fanden es spannend, auch mal jemand anderen kennenzulernen – sogar Besucher von jenseits der Baronie, aus Bell, vor allem Händler, die zu den großen Markttagen kamen, nicht immer viele, aber doch einigermaßen regelmäßig. Das Gerücht, dass Gold in Tulivar sei, hatte sich natürlich nicht unterdrücken lassen. Wir würden über kurz oder lang die Ankunft von allerlei Glücksrittern erwarten dürfen, von jeglicher Kategorie, aber natürlich auch jene, denen es zu anstrengend sein würde, selbst nach Gold zu suchen, und die es richtigerweise für leichter hielten, es jenen abzunehmen, die es bereits hatten. Das würde noch etwas dauern, denn bis jetzt war der Ertrag überschaubar und landete direkt in meiner Schatzkiste, wo er auch erst einmal blieb. Das würde Begehrlichkeiten anderer Art wecken, und der Besuch eines gewissen Steuereintreibers stand ebenfalls noch bevor.
Dann traf ein Reiter ein, von Woldan geschickt, dem treuen und unermüdlichen Dorfschulzen, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, ein Netz an Informanten in der Grafschaft zu Bell aufzubauen, um zu erfahren, was sich in der Nachbarschaft so tat. Meistens waren es Händler, denen er den Brückenzoll erließ und die sich dafür für ihn umhörten, manchmal auch Bewohner in der Umgebung, die selbst Leute in der Stadt kannten oder öfters dorthin reisten, um etwas zu verkaufen oder andere Dinge zu erledigen. Woldan konnte sehr nett und charmant sein und er hatte von mir einen kleinen Etat für diese Dinge erhalten, was sich nunmehr auszuzahlen begann. Die meisten Informationen bestanden aus dem üblichen Tratsch, der für mich nur geringen Wert hatte, aber jetzt brachte der Reiter interessante Neuigkeiten.
Ich empfing den Boten zusammen mit Selur in unserem Kastell, und er schwenkte einen Brief Woldans.
»Hauptmann, es hört sich nach Schwierigkeiten an!«
Sein Name war Erion, einer meiner Veteranen, die ich permanent bei
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