Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
mich zurannte, verfolgt von drei weiteren Männern, die Jagd auf ihn machten. Ich trat einen Schritt zurück und legte meine Klinge betont langsam zu Boden. Meine Männer wechselten kurze Blicke mit mir, ich nickte ihnen zu, und sie taten es mir gleich. Von oben kamen weitere Krieger hinabgeklettert, und als sie uns von beiden Seiten umzingelt hatten, standen wir nur da, die Arme locker an der Seite, möglichst wenig bedrohlich. Woldan kniete nieder und behandelte Lorkos’ Wunden. Er wurde nicht daran gehindert.
Die Angreifer waren wilde Gesellen, in Felle gekleidet, mit grob gewobenen Hosen, schief geschlagenen Kettenhemden und rostigen Helmen. Die Waffen in ihren Händen jedoch wirkten gut gepflegt und waren ohne Zweifel dazu geeignet, Körperteile zu entfernen. Es wurden immer mehr Krieger, die aus dem Gang und von der Leiter her zu uns stießen. Schließlich trat ein Mann vor, dessen Helm mit einem goldenen Streifen versehen war. Das war das einzige Unterscheidungsmerkmal. Er war muskulös, sein Bart wirkte eine Spur weniger verfilzt, und der Blick aus den wasserblauen Augen war genauso wild wie intelligent. Er musterte uns einige Augenblicke, ohne ein Wort zu sagen, dann sah er unsere Waffen am Boden und nickte. So etwas wie ein Lächeln wurde auf seinem Gesicht erkennbar. Er schien zufrieden.
»Ich bin Geradus, Baron von Tulivar«, erklärte ich schließlich.
»Das habe mir gedacht«, war die Antwort. »Wir haben dich sozusagen erwartet, Baron.«
»Sozusagen?«
»Wir haben uns gedacht, dass du kommst, aber wir wussten nicht genau, wann. Erst gestern haben meine Späher von deinem Eintreffen berichtet. So konnten wir noch Vorbereitungen treffen.«
»Wie kommt es, dass ich erwartet wurde?«
Der Bärtige spuckte zu Boden. »Das soll dir der Hetman erklären. Ich bin Wronz, der Hauptmann dieser Bande. Ich habe nur auf der Lauer gelegen. Komm, ich führe dich zum Hetman.«
Ich war nicht sonderlich überrascht. Die ganze Aufmachung der Gesellen wies auf ihre Herkunft hin. Die Stammeskrieger mussten das Versteck der Bewohner Felsdoms gefunden und ihnen hier aufgelauert haben. Und irgendwie hatten sie Wind davon bekommen, dass ich auf dem Weg hierher war. Also den Baron gleich mit einsacken. Das klang nach einem tollen Plan.
Leider war es so ganz und gar nicht mein Plan gewesen.
Wronz sah Endo an, der furchtlos neben uns stand.
»Gute Arbeit, Junge!«, sagte er dann plötzlich und grinste. Endo trat vor, sah mich halb bedauernd, halb triumphierend an, ließ sich von Wronz auf die Schulter schlagen und gesellte sich zu ihm.
Ich starrte den Jungen für einen Moment an, dann schüttelte ich sachte den Kopf. Das war wirklich nicht mein Plan gewesen. Ich war weich geworden, unachtsam. Der Frieden bekam mir nicht. Die Blicke, die Woldan mir zuwarf, sprachen eine ähnliche Sprache. Er hatte Lorkos verbunden. Der Krieger atmete tief und fest, die Blutung hatte aufgehört. Lorkos hatte Schlimmeres überstanden und Woldan kannte sich gut in der Feldscherei aus. Ich machte mir keine unmittelbaren Sorgen um den Verletzten.
»Ihr könnt ihn tragen«, meinte Wronz und zeigte auf den Liegenden. »Aber jetzt folgt mir. Man lässt den Hetman nicht unnötig warten.«
Wir rafften Lorkos auf und taten wie uns geheißen.
Der Gang führte nach der Biegung nur noch etwa vier Meter in den Hügel hinein, endete an einer schweren Holztür, die offen stand. Weitere Krieger wurden sichtbar. Der Hetman hatte hier unten wohl eine ganze Armee verborgen. Wir traten in eine große Höhle, erleuchtet von Lampen. Sie war beeindruckend, eine Mischung aus natürlicher Anlage und von Menschenhand erweitertem Versteck. Die vielen dunklen Ecken deuteten darauf hin, dass ich ihre Ausmaße gar nicht richtig erfasste, und es schien, als würde mindestens ein weiterer Gang davon abgehen. Eine Zisterne stand in der Mitte der Höhle. Zur Linken, zusammengetrieben, sah ich einen Haufen Menschen jederlei Geschlechts und Alters, ich schätzte so 150. Das mussten die Bewohner von Felsdom sein. Sie starrten mich überrascht an, nicht feindselig. Aber etwas hoffnungslos.
Der Rest der Höhle war mit Kriegern angefüllt. Insgesamt hatte der Hetman hier gut 50 Mann verteilt, eine zu große Übermacht selbst für meine tapferen Soldaten. Ich hatte richtig gehandelt, sofort aufzugeben. Wronz führte mich durch das Gewimmel bis zu einem großen, hölzernen Stuhl, bedeckt mit Fellen, auf dem ein massiger Mann saß, einen mächtigen Weinkelch in einer Hand,
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