Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
behalte ich Felsdom. Sieht ordentlich aus.«
»Es wird sehr lange dauern, bis mein Kaiser die Nachricht erhält«, erwiderte ich. »Viele, viele Tagesreisen.«
Norwos schien immer noch unbeeindruckt. »Ich kann warten. Du wirst warten. Schönes Gefängnis hier, oder nicht?«
Ich sah mich um. Offenbar war es des Hetmans Absicht, mich in dieser Höhle aufzubewahren. Die Idee war nicht schlecht. Also war sie bestimmt nicht von ihm.
Ich tat, als gäbe ich mich geschlagen. Natürlich hätte ich jetzt noch in wilde Drohungen verfallen können, auf die große militärische Macht des Reiches hinweisen und andere Dinge, aber wahrscheinlich wäre das bei ihm nicht sonderlich gut angekommen. Ich hielt diesen Führer bei aller Dummheit durchaus zur Grausamkeit fähig, und das war kein Charakterzug, auf den ich – vor allem bei Gegnern – allzu großen Wert legte.
»Was ist mit den Bürgern von Felsdom?«, fragte ich und wies auf die Schar von Menschen, die von den Kriegern bewacht wurde. Ich erkannte auch den Haufen an Nahrungsmitteln und Gebrauchsgütern, die wir in Felsdom vermisst hatten und den die Dorfbewohner offenbar hierher geschafft hatten.
»Wir werden jetzt die Stadt plündern, dann lassen wir sie frei«, erklärte er. Offenbar wollte er sich nicht allzu lange mit einem Haufen hungriger Mäuler belasten.
Ich nickte nur. Das war immerhin etwas.
»Dann will ich meine Nachricht schreiben«, sagte ich.
»Du diktierst sie Thorgal«, meinte der Hetman schlau.
Ich hatte nichts anderes erwartet.
Der Schamane holte Pergament und ein Tintenfass hervor, setzte sich im Schneidersitz auf den Felsboden, breitete das Papier aus und sah mich erwartungsvoll an. Ich diktierte einen möglichst dramatischen Brief – der des Hetmans Zustimmung fand – und flocht all die kleinen Codewörter ein, die Selur wie alle meine Unterführer sehr gut kannte, jahrelang erprobt und immer wieder eingesetzt. Neben der offiziellen Bitte um baldige Zahlung des Lösegeldes und einer Menge rhetorischer Theatralik, die beim Hetman den Eindruck tiefer Verzweiflung seiner Gefangenen erwecken musste, erfuhr Selur alles über die Stärke des Gegners und meine eigene Einschätzung der Situation.
Als wir den Brief beendet hatten, nickten Thorgal und sein Anführer sehr zufrieden. Für sie war es das ideale Gejammere um Lösegeld, verbunden mit zahllosen Ermahnungen, bloß keine Tricks zu versuchen und das zarte Leben des hochwichtigen Barons auf jeden Fall zu erhalten, auch wenn dafür der Rest der Bevölkerung zu bluten hatte. Ich war von mir beeindruckt.
Ich durfte unterzeichnen. Es war eine schwungvolle, ausufernde Unterschrift, verbunden mit zahlreichen Titeln und Ehrennamen, die richtig betrachtet eine schöne Karte darstellten, die die Position unseres Erdloches recht ordentlich wiedergab. Ich war immer noch beeindruckt von mir.
Anschließend wurden wir in eine Ecke der Höhle gebracht, abgeschieden von den anderen Gefangenen. Man nahm uns erst jetzt die Waffen ab, was entweder auf Nachlässigkeit oder auf großes Selbstbewusstsein hinwies, und hieß uns zu sitzen. Dann wurden uns die Fußknöchel aneinandergefesselt. Man ließ die Arme frei, offenbar in der Auffassung, man würde jeden Versuch, die Fußfesseln zu lösen, schon rechtzeitig bemerken. Diese Annahme war durchaus nicht falsch, denn es postierten sich zehn grimmig und aufmerksam dreinblickende Krieger um uns, die mit der Hand auf dem Schwertknauf jede unserer Bewegungen beobachteten.
Ich versuchte, mich zu entspannen. Woldan hatte sich neben mich gehockt. Er hatte den Zustand unseres Freundes Lorkos untersucht. Der Verwundete schlief tief und fest, seine Wunde war geschlossen, und er war kurz aufgewacht, um etwas Wasser zu sich zu nehmen. Wir waren zuversichtlich. Morgen würde er bereits mit uns Ausbruchspläne schmieden.
Woldan und ich steckten die Köpfe zusammen. Wir wisperten, wie man es von Gefangenen erwartete, und die Kameraden unterhielten sich eher lautstark. Uns war nicht geheißen worden, leise zu sein. Solange wir uns friedlich verhielten, sollte es keine Probleme geben.
»Also, welcher ist der Chef?«, murmelte Woldan leise. Ich sah ihn anerkennend an. Mein alter Weggefährte war zu dem gleichen Schluss gekommen wie ich.
»Ich habe ja erst auf den Schamanen getippt«, erwiderte ich. »Magier müssen über Intelligenz und rasche Auffassungsgabe verfügen, wenn sie ihrer Kunst effektiv nachgehen wollen. Aber Magier haben auch die Tendenz, ihre Fähigkeiten ganz
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