Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
eine noch mächtigere Streitaxt an den Stuhl gelehnt. Ihm stand seine Rolle förmlich auf die Stirn tätowiert. Ich kam zu dem Schluss, dass etwas Respekt niemals schadete, und verbeugte mich vor ihm. Er grunzte zufrieden. Schon mal nicht schlecht.
»Du bist der Baron?«, fragte er.
»Das stimmt.«
»Ich bin der Hetman. Mein Name ist Norwos.«
»Ich habe gehört, Hetman, dass Ihr mich erwartet habt.«
Der Mann auf dem Stuhl nickte gemessen. »Thorgal hat es mir gesagt. Dann die Späher.«
»Thorgal?«
Der Hetman machte eine Handbewegung nach rechts. Dort standen einige Krieger, aber auch eine eher schmächtige Gestalt mit allerlei Tierknochen um den Hals. Ein Schamane, ohne Zweifel. Ein Mann der Magie. Beobachtungszauber gehörten zum Standardrepertoire eines jeden magisch begabten Praktikers. Meine Frage war demnach beantwortet. Allerdings war die bloße Existenz Thorgals für mich alarmierend. Ich war mir nicht einmal sicher, ob der Graf zu Bell einen Magier zur Verfügung hatte. Der Verschleiß im Krieg war enorm gewesen, die Praktiker der magischen Künste waren in Hundertschaften verbrutzelt worden, und das auf beiden Seiten. Bis sich die entsprechenden Zünfte wieder aufgebaut hatten, würden noch Jahrzehnte vergehen. Ich hatte zuletzt bei Hofe nicht mehr als eine Handvoll Magier gesehen, und es waren müde, traurige Gestalten gewesen.
Thorgal war weder müde noch traurig, er stand trotz seiner schmalen Statur offenbar gut im Saft und grinste mich provozierend an.
Ich lächelte höflich zurück. Woldan hinter mir musterte den Schamanen weniger erfreut. Er war in den letzten Jahren unser inoffizieller Magierjäger gewesen, meisterhaft im Umgang mit Pfeil und Bogen. Er nährte einen tiefen Hass auf diese Zunft. Dennoch beherrschte er sich mustergültig.
»Wenn Ihr also wisst, Hetman, dass ich der Baron von Tulivar bin, dann habt Ihr Eure Falle sicher mit Absicht gestellt.«
Der Anführer sah mich etwas irritiert an. »Natürlich mit Absicht. Mit der Absicht, dich gefangen zu nehmen, Baron.«
Entweder war der großartige Hetman nicht besonders helle, oder wir redeten aneinander vorbei. Ich versuchte es anders.
»Was habt Ihr mit mir vor?«
»Ich will Lösegeld. Du bist ein Baron.«
Ich nickte gemessen. »Ich bin der Baron eines sehr armen Landstrichs, mit einer sehr armen Bevölkerung. Ihr kennt Felsdom. Der Rest von Tulivar sieht nicht viel besser aus.«
Thorgal schien unbeeindruckt. »Dein Kaiser wird zahlen.«
»Mein Kaiser ist weit weg. Und er hat sicher Besseres zu tun.«
»Du schickst ihm eine Nachricht. Einer von euch darf gehen.«
»Ah. Ja. Sicher. Das lässt sich einrichten. An welche Summe habt Ihr gedacht, Hetman?«
Norwos sah mich erneut verwirrt an, dann runzelte sich seine Stirn und er begann, intensiv nachzudenken. Offenbar überraschte diese Frage ihn ein wenig. Ich begann mich mehr und mehr zu fragen, wie dieser Mann es geschafft hatte, Anführer zu werden. Andere der anwesenden Krieger, Hauptmann Wronz eingeschlossen, machten einen durchaus verständigen Eindruck, wohingegen Norwos durchweg verblödet wirkte. Allein seine beachtlichen Fettmassen konnten doch keine ausreichende Qualifikation darstellen. Wenn er also eigentlich gar nicht geeignet war, diese Gruppe oder gar mehrere Dörfer anzuführen, dann folgerte ich daraus …
Während der Hetman begann, an seinen Wurstfingern die Höhe meines Lösegeldes zu kalkulieren, schaute ich mir sein unmittelbares Gefolge genauer an, musterte die Gesichter und die Kleidung, scheinbar beiläufig, aber durchaus in der Lage, auch Details in mich aufzunehmen. Mein Versuch, mir einen Überblick über seine Leute zu verschaffen, wurde unterbrochen, als Norwos zu einem für ihn zufriedenstellenden Ergebnis gekommen war.
»200 Goldstücke!«, grunzte er.
Ich war überrascht. Das war preisgünstig. So viel lagerte in unseren Packwagen am Turm von Tulivar, sogar noch mehr. Es war offensichtlich, dass auch Thorgals finanzieller Horizont eher begrenzt war. Ich vermutete, dass Tauschwirtschaft ihm weitaus geläufiger war als …
»… und 100 Ziegen«, fügte er hinzu.
In der Tat.
Ich machte jetzt auch ein nachdenkliches Gesicht, gemischt mit etwas aufgesetzter Empörung. Dann schaute ich etwas betrübt drein, was Norwos wiederum erfreute. Er schlug sich mit einer flachen Hand auf den Oberschenkel.
»Wenn mein Herr aber nicht zahlt …«, gab ich zu bedenken.
»Dann wirst du sterben«, gab der Hetman die erwartete Antwort. »Außerdem
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