Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Lord zu Tulivar (German Edition)

Ein Lord zu Tulivar (German Edition)

Titel: Ein Lord zu Tulivar (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van den Boom
Vom Netzwerk:
Talisman erinnert mich an die Totemdolche der Kalbari-Krieger, die uns in den Südländern beim Kampf gegen die Expeditionsarmee General Kulgars geholfen haben. Hm, ich spüre keinerlei Magie. Du?«
    Woldan hatte keine magischen Fähigkeiten – niemand, der einigermaßen bei Verstand war, würde sich jemals um solche bemühen. Aber er spürte es, wenn Gegenstände durch Zauber aufgeladen waren, eine Fähigkeit, die uns in der Vergangenheit vor mancher Unbill bewahrt hatte.
    »Keine Magie. Wenn es ein Totem oder ein Talisman ist, dann hat er nur eine rituelle Funktion, aber keine tatsächliche Macht.«
    Ich schaute auf die tiefe Kerbe auf der Tischplatte.
    »Für mich sieht das wie eine Herausforderung aus«, sagte ich dann.
    »Eine Herausforderung oder eine Drohung«, ergänzte Woldan.
    »Ein Ultimatum, um genauer zu sein. Es gab einen Zeitrahmen. Die Bewohner Felsdoms haben ihn genutzt, um die Siedlung zu verlassen. Sie befürchteten, dass dann etwas passieren würde, womit sie nicht fertig werden. Also lieber fort von hier.«
    Woldan nickte. »Das hört sich plausibel an.«
    »Bleibt die Frage, wem dieses Messer gehörte und wohin die Bürger dieses Dorfes verschwunden sind.«
    Woldan wollte noch etwas sagen, doch wir wurden abgelenkt. Von draußen, direkt vom Marktplatz, klang lautes Geschrei und Gezeter her. Ich wechselte einen schnellen Blick mit meinem Kameraden. Möglicherweise waren nicht alle dem Ultimatum und seinen Folgen entkommen.
    Ohne weiteres Zögern verließen wir das Gebäude.
        
     

8   Der kleine Endo
     
    Der Junge wirkte erschöpft. Sein braunes Haar hing ihm wirr ins Gesicht, er war dreckig, seine Kleidung – die einfachen Sachen eines Bauern – waren ebenfalls in keinem sehr präsentablen Zustand. Er drehte und wendete sich im eisernen Griff eines meiner Männer, der trotz aller Anstrengungen des vielleicht elf Jahre alten Knaben wenig Mühe mit ihm hatte. Halb getragen, halb gezogen hatte er den Jungen auf den Marktplatz geschafft, und das, was diesem an Körperkraft fehlte, versuchte er durch lautes Geschrei wettzumachen. Während ich mit Woldan auf die kleine Gruppe von zwei meiner Soldaten und dem Knaben zuschritt, drangen Schimpfwörter an mein Ohr, deren ausgesuchte Qualität bemerkenswert war. Der Mann, der ihn festhielt, Lorkos mit Namen, behielt einen völlig ungerührten Gesichtsausdruck, bis er mich erblickte und mich erwartungsvoll ansah. Ich stellte mich vor den tobenden Jungen und erwiderte Lorkos’ Blick.
    »Wir haben ihn in einem Keller gefunden. Gut versteckt, das muss man ihm lassen. Hätte er sich nicht unachtsam bewegt, wäre er uns nicht aufgefallen«, berichtete der Krieger gelassen. »Wir wollten ihn ganz ruhig mitnehmen, aber er hat sofort mit dem Lärm und dem Treten angefangen. Ich glaube, er verwechselt uns mit jemandem.«
    Ich starrte auf den Jungen hinab. Er schien bemerkt zu haben, dass ich jemand mit einer gewissen Autorität war, denn er hatte seine fruchtlosen Abwehrbewegungen zumindest vorübergehend eingestellt. Er hatte wache, blaue Augen, die waren jedoch dunkel umrandet, als ob er in letzter Zeit nicht viel Schlaf gefunden habe. Er starrte zurück, verärgert, aber mit einem Flackern von Furcht im Blick.
    Ich wandte mich ab, schritt zu meinem Pferd und machte den Vorratsbeutel los. Ich brachte ihn zu dem Jungen, öffnete ihn und holte ein Stück kalten Braten hervor, harten Käse, einen Kanten Brot, alles gut verpackt. Ich breitete die Mahlzeit auf dem Podest in der Mitte des Platzes aus, auf dem einst eine weitere Statue gestanden haben mochte, das aber jetzt verwaist war und als Tisch diente.
    »Du siehst hungrig aus!«, sagte ich dann. »Lorkos, lass ihn los.«
    In plötzlicher Freiheit taumelte der Junge nach vorne, rieb sich die Oberarme. Seine flinken Augen sahen sich um, sondierten mögliche Fluchtwege, fielen auf das dargebrachte Essen – und wurden hungrig.
    Sehr hungrig.
    »Iss!«, forderte ich ihn auf. »Wie heißt du?«
    »Endo«, brachte er hervor. Seine Stimme war von all dem Geschrei heiser geworden. Er machte einen Schritt auf den Braten zu.
    Ich sah Lorkos an. »Bring Wasser!«, befahl ich ihm. Er tat wie ihm geheißen und reichte mir seinen eigenen Schlauch. Ich wiederum legte ihn neben den Braten. »Trink, Endo.«
    Vorsicht und Misstrauen wurden schließlich durch Hunger und Durst überwältigt. Dass ich einfach so dastand, an das Podest gelehnt, ohne bedrohlich zu wirken, mochte auch einen Beitrag geleistet haben.

Weitere Kostenlose Bücher