Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
hatte wohl auch ein anderes Zeitgefühl. Das Torhaus zitterte erneut. Ich revidierte Throcius’ Schätzung nach unten. Es würde keine zehn Minuten mehr dauern, bis das äußere Tor am Ende war.
Ich ging zum hinteren Teil des Torhauses, blickte auf den Hof hinab. Krieger versammelten sich dort, die Schwerter gezogen, in einem Halbkreis vor dem zweiten Tor, bereit, die hereinstürmenden Barbaren gebührend zu empfangen. Es würde ein langes und blutiges Gemetzel mit höchst ungewissem Ausgang werden. Die Bergkrieger allein waren trotz der Überzahl nicht mein Problem, gegen wilde, aber nicht ordentlich ausgebildete Kämpfer hatte eine disziplinierte Einheit immer eine gute Chance. Doch die Söldner des Hetmans störten die Kalkulation. Ich machte mir ernsthaft Sorgen.
Ein lautes Splittern wurde hörbar. Ich stürzte nach vorne. Das äußere Tor hing schief in den Angeln, ein Flügel fast in Stücke gehauen. Ein lautes Siegesgeheul ertönte aus den Kehlen der Bergkrieger. Die Söldner arbeiteten schweigsam und verbissen weiter, was ich um einiges beängstigender fand als das Geschrei der Zottelbärte.
Ich biss die Zähne aufeinander.
Es war sinnlos, hier oben noch länger auszuharren und auf ein Wunder zu hoffen.
Ich kletterte die Leiter hinab und sah, wie mir viele der Männer folgten. Sie zogen ihre Klingen, gesellten sich zu den anderen Kriegern in der Mitte des Hofes und sahen mit mir zusammen zu, wie das innere Tor in sich zusammenfiel und krachend auf dem Boden landete.
Ein vielstimmiges Siegesgeheul erklang aus den Kehlen der Gebirgskrieger, und mit neuem Mut stürmten sie in die soeben geschaffene Hoffnung.
Ich musste tun, von dem ich gehofft hatte, es hinter mir gelassen zu haben.
Der Kontrast war bemerkenswert.
Meine Söldner kämpften mit stummer Verbissenheit, die Bewegungen exakt, fast mechanisch. Die erste Linie mit den Klingen. Die zweite Linie zückte die zweischüssigen Armbrüste, und die Kaltblütigkeit der Schützen war erstaunlich. Wo ihre Kameraden vor ihnen die Schwerter auf die hereinströmenden Barbaren niedersausen ließen, suchten sie sich mit sorgfältiger Präzision ihre Ziele, drückten ab, dann erneut, wieder ein Schuss. Auf diese Entfernung saß jeder Treffer. Doch es blieb keine Zeit für eine weitere Salve. Die Übermacht der Feinde war zu groß. Wo einer fiel, stieg ein anderer über dessen toten Leib. Ohne Rücksicht trampelten sie auf den sterblichen Resten ihrer gefallenen Freunde nach vorne, im Blutrausch, schreiend, bereit und willens zu töten.
Bereit und willens. Ich suchte diese Leidenschaft vergeblich in mir. Ich spürte das Feuer schon lange nicht mehr. Ich wusste, wie ich mich zu bewegen hatte, und ich hing an meinem Leben wie eh und je, also verteidigte ich mich. Meine Klinge tanzte umher, fand ihr Ziel sicher, schnell und effektiv. Ich hatte den Stahl fein geschliffen. Er fuhr durch Haut und Sehnen, durch Fell und Stoff, leicht und elegant wie durch Pergament. Ich vernahm das Gurgeln durchschnittener Kehlen und spürte die Spritzer warmen Blutes auf meinem Wams, roch den metallenen Geruch verströmenden Lebens. Ich stand Seite an Seite mit Männern, die ich kaum kannte, aber die meine Brüder waren, die die gleichen Schlachten wie ich geschlagen hatten und die sich dieser Aufgabe mit einer morbiden Gelassenheit entledigten.
So töteten wir und wurden getötet, denn der Feind war zahlreich.
Für einen Moment hoffte ich, doch noch den Sieg erringen zu können, doch dann traten die fremden Söldner an die erste Stelle, und sie glichen uns in unbarmherziger Kälte und in technischer Finesse. Sie waren uns in allem ebenbürtig. Ihre Gesichter hinter den Helmen verborgen, erkannte ich keinen meiner Feinde, aber ich spürte, wie die Anzahl leichter Schnitte und Stöße zunahm, sah, wie mein Arm müde wurde, wie ich den an den rechten Unterarm geschnallten schmalen Schild mit immer größerer Kraftanstrengung heben musste.
Ich fühlte in mir ein gewisses Bedauern aufsteigen. Da war diese Frau, mit der ich ein Leben hatte verbringen wollen, dieses Land, das eine Chance verdient hatte, arme Menschen, denen Hoffnung so viel bedeutete wie Brot und Wein.
Schade. Sehr, sehr schade.
Bewegung kam in die Männer, ein Geschrei erhob sich. Nicht unter uns. Nicht unter den fremden Söldnern, aber unter den Bergkriegern, die noch draußen vor dem Tor standen. Ich konnte das Gebrüll nicht identifizieren, doch dann plötzlich ließ die Last des Angriffs nach.
Etwas war
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