Ein Lotterie-Loos
dünnen Lippen, als daß über dieselben je hätte ein freundliches Wort kommen können, und endlich mit langen, fast klauenartigen Händen bildete er den Typus eines Pfandleihers oder Wucherers. Hulda hatte das Vorgefühl, als ob dieser Reisende dem Hause der Frau Hansen nicht eben Glück bringen dürfte. Daß er von Geburt Norweger war, erkannte man auf den ersten Blick, doch fanden sich in seiner Erscheinung von dem skandinavischen Typus nur die niedrigen Seiten vereinigt. Sein Reiseanzug bestand aus einem niedrigen breitkrämpigen Hute, einem Rocke aus weißlichem Tuch, einer über der Brust sich kreuzenden Weste, am Knie durch die Schnalle einer Lederstrippe befestigtem Beinkleide und über dem Allen aus einer Art bräunlichem Pelz, der inwendig mit Schaffell gefüttert war – was sich durch die auf den Hochebenen und in den tiefen Thälern Telemarkens noch recht kalten Abende und Nächte hinlänglich erklärte.
Nach dem Namen dieser Persönlichkeit hatte Hulda vorläufig noch nicht gefragt. Sie mußte denselben ja bald erfahren, da sie ihn in das Fremdenbuch des Gasthauses einzutragen hatte.
In diesem Augenblick kehrte Frau Hansen zurück. Ihre Tochter meldete ihr die Ankunft eines Reisenden, der das beste Zimmer und beste Mittagsessen beansprucht hätte. Ob er sich längere Zeit in Dal aufhalten werde, konnte sie nicht sagen, da jener sich darüber nicht ausgesprochen hatte.
»Er hat auch seinen Namen nicht genannt? fragte Frau Hansen.
– Nein, Mutter.
– Auch nicht gesagt, woher er käme?
– Nein.
– Es ist jedenfalls ein Vergnügungsreisender, und ich bedaure nur, daß Joël nicht zu Hause ist, um sich ihm zur Verfügung stellen zu können. Was thun wir, wenn er einen Führer verlangen sollte?
– Ich halte ihn für keinen Vergnügungsreisenden, sagte Hulda. Es ist ein schon bejahrterer Mann…
– Doch wenn er kein Lustreisender ist, was sollte er in Dal wollen?« erwiderte Frau Hansen, vielleicht mehr mit sich selbst, als mit ihrer Tochter redend, und in einem Tone, der eine gewisse Unruhe erkennen ließ.
Auf die letztere Frage vermochte Hulda nicht zu antworten, da ihr der Reisende von seinen Absichten ja nichts mitgetheilt hatte.
Eine Stunde nach seiner Ankunft trat jener Mann in die große, neben seinem Zimmer gelegene Stube. Beim Erblicken der Frau Hansen blieb er einen Augenblick auf der Schwelle stehen.
Offenbar kannte er bisher seine Wirthin von Person ebenso wenig, wie diese ihn. Er schritt auf diese zu und begann, nachdem er sie durch die Brille scharf angesehen und ohne den Hut, den er noch auf dem Kopfe trug, nur mit der Hand zu berühren:
»Frau Hansen, wenn ich nicht irre?…
– Das bin ich, mein Herr,« entgegnete die Wirthin.
In Gegenwart dieses Mannes empfand sie, ganz wie ihre Tochter, eine gewisse Beklemmung, die Jenem nicht entgehen konnte.
»Sie sind also die Frau Hansen aus Dal?
– Ja, natürlich. Haben Sie mir vielleicht etwas Besonderes mitzutheilen?
– Keineswegs, ich wollte zunächst nur Ihre Bekanntschaft machen. Ich bin ja Ihr Gast. Wollen Sie nun dafür sorgen, daß mir das Essen so bald wie möglich aufgetragen wird.
– Ihr Mittagsmahl ist bereit, erklärte Hulda. Wollen Sie sich gefälligst nach dem Speisezimmer bemühen….
– Ja wohl.«
Damit ging der Reisende schon nach der, ihm von dem jungen Mädchen gezeigten Thür zu. Eine Minute nachher saß er in der Nähe des Fensters vor einem sauber gedeckten Tischchen.
Das Mittagsmahl war sicherlich sehr gut. Auch der verwöhnteste Lustreisende hätte daran gewiß nichts auszusetzen gefunden. Diese wenig geduldige Persönlichkeit ließ es jedoch an Zeichen und Worten für seine Unzufriedenheit nicht fehlen – vorzüglich nicht an Zeichen, denn er schien nicht allzu gesprächiger Natur zu sein. Man konnte sich wohl fragen, ob daran, daß er so anspruchsvoll war, sein schlechter Magen oder seine üble Laune die Schuld trug. Die Kirsch-und Johannisbeersuppe schien ihm wenig zu munden, obgleich sie gewiß vorzüglich zubereitet war. Er berührte weder die Lachsschnitten noch den marinirten Häring. Der zarte, rohe Schinken, ein appetitliches halbes Hühnchen und verschiedene trefflich zugerichtete Gemüse gefielen ihm ebenso wenig. Selbst mit der Flasche Saint-Julien und der halben Flasche Champagner schien er unzufrieden zu sein, obwohl diese erwiesenermaßen den besten Kellereien Frankreichs entstammten.
Die natürliche Folge hiervon war, daß der Reisende, als er vom Tische aufstand, nicht ein
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