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Ein Lotterie-Loos

Ein Lotterie-Loos

Titel: Ein Lotterie-Loos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Verzögerungen sind ja bedauerlich, aber ebenso natürlich. Nein, ich bin nicht unruhig darum, und wir haben auch gar keine Ursache, es zu sein.«
    Am 19. traf in dem Gasthause ein Reisender ein, der einen Führer wünschte, um ihn auf dem Wege über’s Gebirge bis nach der Grenze von Hardanger zu begleiten. Obwohl es ihm recht unangenehm war, Hulda sich selbst zu überlassen, konnte Joël das Verlangen des Fremden doch nicht abschlagen. Er gedachte dabei höchstens achtundvierzig Stunden auszubleiben und hoffte, bei der Rückkehr endlich Ole anzutreffen. In Wahrheit fing der junge Mann allerdings an, sich ernstlich zu beunruhigen; er ging also an diesem Morgen mit recht schwerem Herzen fort.
    Am folgenden Tage, genau um ein Uhr Nachmittags, klopfte Jemand an die Thür des Gasthauses.
    »Sollte das Ole sein?« rief Hulda.
    Sie sprang auf, um zu öffnen.
    Vor dem Hause zeigte sich, noch auf dem Sitze des Schußkarrens, ein Mann im Reisemantel, dessen Gesicht ihr völlig unbekannt war.
VI.
    »Ist das das Gasthaus der Frau Hansen? – Ja wohl, antwortete Hulda.
    – Ist wohl Frau Hansen selbst zu Hause?
    – Nein, doch sie wird bald wiederkommen.
    – Bald?…
    – Augenblicklich; wenn Sie vielleicht mit ihr zu sprechen haben…
    – Keineswegs; ich habe ihr nichts zu sagen.
    – Wünschen Sie ein Zimmer?
    – Ja, das beste des Hauses.
    – Und soll ich Ihnen ein Mittagsmahl zurecht machen?
    – So schnell als möglich, und sehen Sie darauf, daß mir das Beste, was Küche und Keller bieten, vorgesetzt wird.«
    Diese Worte wurden zwischen Hulda und dem Reisenden gewechselt, noch ehe dieser aus dem Wagen stieg, den er zur Fahrt durch die tiefen Wälder, über die Seen und durch die Thalgründe des mittleren Norwegens bis ins Herz von Telemarken benutzt hatte.
    Man kennt wohl schon vielfach das Gefährt, den Transport-Apparat, den die Skandinavier ganz besonders bevorzugen: eine lange Gabeldeichsel, zwischen der ein Pferd mit Holzkummet läuft, das meist gelblich von Farbe und von starker Mähne ist. Dasselbe wird durch einen Strang geleitet, der nicht als Gebiß durch dessen Maul verläuft, sondern an der Nase befestigt ist. Dazu zwei große einfache Räder, deren federlose Achse einen kleinen farbigen, kaum für eine Person hinreichenden Sitzkasten trägt – von einem Verschlag, einem Schutzleder oder Fußtritt ist keine Rede – und hinter dem Sitze ein Brett, auf dem der »Skydskarl« Platz nimmt. Das Ganze ähnelt etwa einer gewaltigen Spinne, deren doppeltes Netz die beiden Räder des Gefährtes darstellen.
    Und mit diesem sehr urwüchsigen Werke der Wagenbaukunst kann man sehr wohl Strecken von fünfzehn bis zwanzig Kilometern ohne große Belästigung zurücklegen.
    Auf ein Zeichen des Reisenden beeilte sich dessen Bursche, das Pferd zu halten. Dann erhob sich jene Persönlichkeit, schüttelte und streckte sich und stieg nicht ohne einige Anstrengung herab, was man aus dem übellaunigen Murren desselben abnehmen konnte.
    »Mein Wagen kann doch wohl eingestellt werden?
    – Ja gewiß, versicherte Hulda.
    – Und mein Pferd kann auch Futter haben?
    – Ich werde es nach dem Stalle bringen.
    – Daß es nur gut versorgt wird!
    – Seien Sie darum außer Sorge. Darf ich fragen, ob Sie mehrere Tage in Dal zu verweilen gedenken?
    – Das weiß ich noch nicht.«
    Pferd und Wagen wurden nach einem innerhalb der Umfriedigung errichteten offenen Schuppen gebracht, der schon am Fuße des Berges unter dem Schutze von Baumkronen stand. Es war das der einzige Schuppen und Stall zugleich, der sich bei dem Gasthause vorfand, doch genügte er stets für die hier weilenden Gäste.
    Bald nachher war der Reisende, wie er es verlangt hatte, im besten Zimmer des Hauses untergebracht. Nachdem er den weiten Ueberrock abgelegt, wärmte er sich vor einem tüchtigen Holzfeuer, das er hatte anzünden lassen. Um seine wenig anheimelnde Laune zu verbessern, empfahl Hulda der »Piga«, ja das möglich beste Mittagsbrot zu bereiten. Diese »Piga« war ein kräftiges Mädchen aus der Umgebung, welche während des Sommers in der Küche und bei den gröberen häuslichen Arbeiten zur Aushilfe diente.
    Der neue Ankömmling war, obwohl er die Sechzig überschritten haben mochte, doch noch ein wohlerhaltener Mann. Mager, in der Haltung etwas gebeugt, von mittlerer Größe, knochigem Kopfe, glattem Gesicht, mit spitzer Nase und kleinen Augen mit durchbohrendem Blick hinter den großen Brillengläsern, mit einer meist in Falten liegenden Stirn und zu

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