Ein Lotterielos. Nr. 9672
mit den Achseln. Dann fuhr er wie einer, der
seiner Beweisgründe sicher ist, fort:
»Wenn ich von einem Preis für das betreffende Lotterie-
los sprach, hätte ich wohl dazu sagen sollen, daß ich Ihnen
Vorteile zu bieten komme, die Hulda, schon im Interesse ih-
rer Angehörigen, nicht in den Wind schlagen dürfte.«
»Wirklich?«
»Und endlich, junger Brausekopf, erfahren Sie, daß ich
nicht nach Dal gekommen bin, Ihre Schwester um Abtre-
tung jenes Loses zu bitten. Alle Teufel, nein!«
»Was wünschen Sie dann sonst?«
»Ich wünsche nicht, ich verlange, ich fordere . . . weil ich
will.«
»Und mit welchem Recht«, rief Joel, heftiger werdend,
»wagen Sie, ein Fremder, in dieser Weise in meiner Mutter
Haus zu sprechen?«
»Mit dem Recht, das jeder Mensch besitzt«, antwor-
tete Sandgoist, »zu sprechen, wann und wie es ihm beliebt,
wenn er in seinen vier Wänden ist.«
»In seinen vier Wänden!«
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Höchst entrüstet drang Joel auf Sandgoist ein, der, ob-
wohl er sonst nicht leicht erschrak, aus dem Lehnstuhl auf-
gesprungen war. Hulda hielt jedoch ihren Bruder zurück,
während Frau Hansen, das Gesicht in den Händen ver-
steckt, nach dem anderen Ende der Gaststube zurückwich.
»Bruder . . . denk an unsere Mutter!« bat das junge Mäd-
chen.
Joel hielt sofort inne. Der Anblick der Mutter hatte seine
Wut gelähmt; ihre ganze Haltung verriet, wie vollkommen
sie in der Macht dieses Sandgoist stehen müsse.
Als er Joel zaudern sah, raffte sich letzterer wieder zu-
sammen und nahm den vorher verlassenen Platz wieder
ein.»Ja, in seinen eigenen vier Wänden!« rief er mit noch
drohenderer Stimme. »Seit dem Ableben ihres Mannes hat
sich Frau Hansen in Spekulationen eingelassen, die sämt-
lich fehlschlugen. Das geringe Vermögen, das Euer Vater
hinterließ, hat sie aufs Spiel gesetzt und endlich bei einem
Bankier in Christiania Anleihen aufnehmen müssen. Am
Ende ihrer Möglichkeiten angelangt, hat sie dieses Haus als
Pfand für eine Summe von 15.000 Mark eintragen lassen,
die ihr gegen einen regelrecht ausgestellten Schuldschein
geliehen wurden, gegen einen Schuldschein, den ich von
dem Darleiher erstanden habe. Dieses Haus wird also, wenn
ich nicht zum Termin auf Heller und Pfennig bezahlt werde,
sehr bald mir gehören.«
»Wann ist dieser Termin?«
»Am 20. Juli, in 18 Tagen«, erklärte Sandgoist. »Und an
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diesem Tag werde ich, ob Ihnen das nun gefällt oder nicht,
hier innerhalb meiner eigenen vier Wände sein!«
»Das werden Sie an jenem Datum nicht sein, außer wenn
Sie bis dahin nicht voll befriedigt wären. Ich verbiete Ihnen
also, so, wie Sie es getan, vor meiner Mutter und meiner
Schwester zu sprechen.«
»Er verbietet es mir! . . . Mir!« rief Sandgoist. »Und
verbietet’s mir seine Mutter auch?«
»Aber so sprich doch, Mutter«, sagte Joel, der auf diese
zutrat und ihre Hände auseinander zu drängen versuchte.
»Joel! Lieber Bruder!« flehte Hulda. »Aus Mitleid für sie
bitte ich herzlich, beruhige dich!«
Den Kopf gebeugt haltend, brachte es Frau Hansen nicht
über sich, ihren Sohn anzusehen. Es verhielt sich allerdings
so, daß sie bald nach dem Ableben ihres Mannes ihr Vermö-
gen durch etwas gewagte Unternehmungen zu vergrößern
versucht hatte. Das wenige bare Geld, das sie besaß, war da-
bei bald wie Spreu im Wind verschwunden, und bald hatte
sie drückende und ihren Untergang nur befördernde An-
leihen aufnehmen müssen. Jetzt war nun der Pfandschein
einer auf ihr Haus eingetragenen Hypothek in die Hände
Sandgoists von Drammen, an einen herzlosen Mann, einen
im ganzen Land bekannten und verabscheuten Wucherer
übergegangen. Frau Hansen hatte ihn selbst zum ersten Mal
an dem Tag gesehen, wo er nach Dal gekommen war, um
sich über den Wert ihres Anwesens durch den Augenschein
ein Urteil zu verschaffen.
Das war also das Geheimnis, das auf ihrem Herzen las-
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tete. Ja, Sandgoist hatte recht wohl die Mittel in der Hand,
seine Wünsche durchzusetzen. Das Los, das er heute haben
wollte, würde binnen 14 Tage vielleicht gar keinen Wert
mehr haben, und wenn er es jetzt nicht ausgeliefert erhielt,
so bedeutete das den Untergang, den Verlust des Hauses,
die Obdachlosigkeit und den schwersten Mangel für die Fa-
milie Hansen – mit einem Wort, das bitterste Elend.
Hulda wagte gar nicht, zu Joel die Augen zu erheben;
Joel aber, den der Ingrimm übermannte, wollte nichts
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