Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Lotterielos. Nr. 9672

Ein Lotterielos. Nr. 9672

Titel: Ein Lotterielos. Nr. 9672 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
zufälliger
    Gewinnaussichten, welches jenes Los bei der Ziehung der
    Lotterie in Christiania haben mochte, nein, es war der Ver-
    zicht auf Erfüllung des letzten Willens Ole Kamps, es war
    der Verlust des letzten Abschiedsworts von ihrem unglück-
    lichen Verlobten.
    Doch darauf war jetzt nicht mehr zurückzukommen.
    Sandgoist besaß das Los, das ihm rechtmäßig gehörte und
    das er zum Verkauf stellen würde. Ein elender Wucherer
    sollte nun Geld schlagen aus dem rührenden Lebewohl
    eines Schiffbrüchigen! Nein, Sylvius Hog konnte darüber
    nicht hinwegkommen.
    Noch an demselben Tag suchte Sylvius Hog darüber
    — 208 —
    noch ein Gespräch mit Frau Hansen herbeizuführen, ein
    Gespräch, das an der Lage der Dinge zunächst zwar nichts
    ändern konnte, aber das zwischen ihnen gewissermaßen
    zur Notwendigkeit geworden war. Er stand dabei übrigens
    einer sehr praktisch-nüchternen Frau gegenüber, die ohne
    Zweifel mehr gesunden Menschenverstand als tieferes Ge-
    fühl besaß.
    »Sie tadeln mich also, Herr Hog?« fragte sie, nachdem
    sie den Professor ganz nach seinem Belieben hatte ausre-
    den lassen.
    »Gewiß, Frau Hansen.«
    »Wenn Sie mir darüber Vorwürfe machen, mich unbe-
    sonnenerweise in schlecht auslaufende Geschäfte eingelas-
    sen, das Vermögen meiner Kinder verscherzt zu haben, so
    gebe ich Ihnen recht. Doch wenn Sie mir vorwerfen, so wie
    ich es tat gehandelt zu haben, um mich zu retten, dann ha-
    ben Sie unrecht. – Was könnten Sie darauf antworten?«
    »Nichts.«
    »Im Ernst gesprochen, sollte ich das Angebot Sandgoists
    abschlagen, der doch schließlich 15.000 Mark für die Abtre-
    tung eines Lotterieloses gezahlt hat, dessen höherer Wert ja
    durch gar nichts begründet ist? Ich frage Sie noch einmal,
    sollte ich das abschlagen?«
    »Ja und nein, Frau Hansen.«
    »Nein, hier kann’s nicht ja und nein heißen, Herr Hog,
    sondern nur nein! Wenn in unserer Lage, die Sie ja ken-
    nengelernt, die nächste Zukunft – ich gestehe, durch meine
    Schuld – nicht gar so drohend erschienen wäre, gut, dann
    — 209 —
    hätte ich Huldas Weigerung recht gut begriffen. Ja, ich hätte
    eingesehen, daß sie sich um keinen Preis von diesem ihr
    von Ole Kamp zugekommenen Los trennen wollte. Wenn
    es sich aber darum handelte, binnen wenigen Tagen aus
    dem Haus gejagt zu werden, in dem mein Mann die Au-
    gen geschlossen, in dem meine Kinder das Licht der Welt
    erblickten, dann hätte ich das nicht verstehen können, und
    Sie selbst, verehrter Herr Hog, hätten an meiner Stelle nicht
    anders gehandelt.«
    »Und doch, Frau Hansen, doch!«
    »Und was hätten Sie getan?«
    »Ich würde eher alles versucht haben, als das Los zu op-
    fern, das meine Tochter gerade unter solchen Verhältnissen
    erhalten hatte.«
    »Machen diese Verhältnisse es etwa wertvoller?«
    »Das wissen Sie nicht und ich nicht, das weiß überhaupt
    niemand.«
    »O, das kann man denn doch beurteilen, Herr Hog! Auch
    dieses Los ist weiter nichts, als ein Lotterielos, das 999.999
    Mal zu verlieren und dagegen 1 Mal zu gewinnen Aussicht
    hat. Legen Sie ihm deswegen einen besonderen Wert bei,
    weil es in einer aus dem Meer aufgefischten Flasche gefun-
    den wurde?«
    Auf diese so gestellte Frage hatte Sylvius Hog freilich ei-
    nige Mühe zu antworten. Er spielte die Sache daher wieder
    auf die »Gefühlsseite« hinüber und sagte:
    »Der Sachverhalt ist folgender: Ole Kamp hat Hulda in
    dem Augenblick, wo ihm der Untergang drohte, das einzige
    — 210 —
    Wertobjekt hinterlassen, das er noch auf der Welt besaß. Er
    hat ihr sogar anempfohlen, am Ziehungstag mit diesem Los,
    wenn es ein glücklicher Zufall ihr in die Hand spielte, in
    Christiania gegenwärtig zu sein, und nun hat Hulda das Los
    nicht einmal mehr in der Hand!«
    »Wäre Ole Kamp zurückgekehrt«, bemerkte dazu Frau
    Hansen, »so würde auch er nicht gezögert haben, das Los
    an Sandgoist zu überlassen.«
    »Das ist wohl möglich«, erwiderte Sylvius Hog, »er hatte
    auch allein das Recht dazu. Was würden Sie ihm denn ant-
    worten, wenn er nicht tot, nicht bei einem Schiffbruch um-
    gekommen wäre, wenn er zurückkäme . . . schon morgen . . .
    noch heute . . .«
    »Ole wird nicht zurückkehren«, antwortete Frau Hansen
    mit dumpfer Stimme. »Ole ist tot, Herr Hog, ist sicherlich
    tot!«
    »Das wissen Sie nicht, Frau Hansen!« rief der Professor
    mit wirklich auffallend überzeugendem Ton. »Es sind sehr
    umfassende Nachforschungen eingeleitet, um irgendeinen
    Überlebenden

Weitere Kostenlose Bücher